Was lieben Sie an Ihrem Job, Herr Haberl?
Das Gestalten. Ich bin ein schlechter Verwalter. Wenn alles eingefahren ist, wird es mir zu langweilig. Ich bin keiner, der bis in die letzte Schraube optimiert. Ich bin jemand, der Weichen stellt, der die Veränderungen durchführt, die ein Unternehmen in Bewegung bringen. Es gibt Leute, die vor Wandel oder Veränderung zurückschrecken. Für mich ist Wandel die einzige Triebfeder. Etwas zu verändern, zu gestalten, neue Ideen zu generieren und diese umzusetzen, da fängt für mich der Spaß an.
Krisen sind für mich Chancen. Deshalb kam ich auch häufig als Feuerwehrmann in Unternehmen. Diese Rolle ist perfekt für mich, weil ich dann in meinem Element bin und sehr schnell auch Ergebnisse meines Handelns sehe.
S.W.: Wann haben Sie gemerkt, dass Ihnen dieses Gestalten und das Führen von Transformationsprozessen Freude bereitet?
Ich bin Informatiker und habe als Programmierer angefangen. Mein erstes Unternehmen als Angestellter hat Software für Geheimdienste und Dienststellen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität entwickelt und in ganz Europa verkauft. Dort habe ich innerhalb von vier Jahren die Leitung der Entwicklungsabteilung übernommen. Ich, der Jüngste, mit der wenigsten Berufserfahrung und der geringsten Betriebszugehörigkeit, ich bin Chef geworden. Das war eine Überraschung für mich. Und noch mehr überrascht hat es mich, dass ich als Chef akzeptiert wurde. Das Führen ist mir leichtgefallen. Und zu sehen, dass ich Menschen dafür begeistern kann, Dinge gemeinsam mit mir zu gestalten, hat mich motiviert, diesen eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen.
Andererseits sitze ich in meiner Freizeit immer noch am Rechner und programmiere. Gemeinsam mit meinen Kindern habe ich ein Vogelhäuschen im Garten aufgestellt und dort eine Kamera installiert. Diese habe ich so programmiert, dass wir die Vögel beobachten können bzw. wenn wir nicht da sind, alles aufgezeichnet wird, was am und im Vogelhaus passiert. Also Technik übt weiterhin eine Faszination auf mich aus, auch wenn mein beruflicher Schwerpunkt seit Jahren auf der Führung liegt.
SW: Wann haben Sie gemerkt, dass Ihr Herz für die IT schlägt?
Ich habe meinen ersten Rechner im Alter von zwölf Jahren bekommen. Da mich die Software, die auf dem Rechner war, nicht interessiert hat, habe ich angefangen, selber in Assembler zu entwickeln. Meine Schwester hat in dieser Zeit bei der Gesellschaft für Strahlenforschung gearbeitet. Und da gab es einen Apple Rechner, in den viele Daten händisch eingegeben werden mussten. Das zu vereinfachen, war mein Ziel und so habe ich im Rahmen eines Ferienjobs eine Schnittstelle programmiert. Da war ich 14. Sie sehen, ich war früher wirklich als Nerd unterwegs. Mit einem Schulfreund haben wir zu der Zeit sogar mal die EU gehackt und uns auf deren Großrechnern umgeschaut. Das war eine coole Zeit.
Welche Parallelen gibt es zu dem, was wir tun, der Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung?
Es gibt viele Parallelen, wie auch die aktuelle Situation zeigt. Ich habe vor kurzem die Geschäftsführung der SSE Software GmbH in Augsburg übernommen, einem Unternehmen, dessen Software Leben rettet, weil sie in Leitstellen eingesetzt wird. Ziel ist es, dieses Unternehmen weiterzuentwickeln. Das geht nicht ohne Veränderung: Es müssen Strukturen neu geschaffen werden, Prozesse und Abläufe werden sich ändern, neue Kollegen sind ins Team zu integrieren. All das bietet viele Parallelen zu dem, was ihr macht.
S.W.: Der Erfolg von Veränderungsprozessen hängt maßgeblich davon ab, inwieweit Führungskräfte und Belegschaft diese Veränderungen mittragen. Wie schaffen Sie es, Menschen dafür zu gewinnen?
Ich glaube, dazu tragen bei mir zwei wesentliche Faktoren bei: Vertrauen und Begeisterung.
Ob einem Mitarbeiter vertrauen, hängt maßgeblich davon ab, wie verlässlich man ist. Sie müssen erkennen: „Wenn wir etwas vereinbaren, hält er sich dran. Wenn ich ihm etwas anvertraue, dann bleibt das ausschließlich bei ihm.“ In der SSE bin ich erst seit wenigen Monaten und ich erarbeite mir dieses Vertrauen ab dem ersten Tag.
Der andere Erfolgsfaktor ist die Begeisterung, die ich in mir trage. Wenn ich von etwas begeistert bin, dann ist diese Begeisterung offensichtlich. Sie ist so offensichtlich, dass sie auf andere abstrahlt. Natürlich gab es auch in meinem Umfeld immer mal wieder Menschen, die ich nie für etwas begeistern konnte. Das habe ich gelernt zu akzeptieren.
Doch der Großteil der Menschen möchte Spaß an der Arbeit haben und erfolgreich sein. Das ist eine gute Schnittmenge zu meinen Zielen und damit eine solide Basis, um gemeinsam das Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass sich Spaß und Erfolg wieder einstellen.
S.W.: Sie haben schon mehrere Unternehmen geführt und haben jetzt vor einigen Monaten die Geschäftsführung der SSE übernommen. Wie kommt ein Peter Haberl in einem Unternehmen an?
Ich bin keiner, der mit großem Gepolter in ein Unternehmen kommt und alles niedermacht, was ich dort vorfinde. Ich schätze, was da ist. Ich bin ein sehr guter Beobachter und guter Zuhörer. Das sind zwei Fähigkeiten, die ich intensiv nutze. Ich möchte verstehen, was dieses Unternehmen ausmacht. Ich möchte verstehen, wer die Kollegen sind. Was treibt sie an? Wo stehen sie? In den ersten Wochen führe ich fast nur Gespräche, beobachte, frage nach und höre zu. Natürlich kommen mir da auch schon Ideen, aber das steht nicht im Fokus dieser Zeit.
Und dann geht es darum, ein Team zu formen, das an einem Strang zieht. Ein Team, das das gleiche Verständnis von den zentralen Dingen hat, sich vertraut und gut die Bälle zuspielen kann. Führung hat so viel mit echter Wertschätzung zu tun. Und selbst, wenn es meine Aufgabe ist, ein Unternehmen neu auszurichten oder zu sanieren, gibt es Dinge, die bisher funktioniert haben. Es ist nie alles schlecht. Es hat einen Grund, warum Dinge sind, wie sie sind. Und diesen Grund möchte ich verstehen, bevor ich handle.
Ich glaube, dass diese Haltung von mir auch maßgeblich mit dazu beiträgt, warum es mir gelingt, Menschen für Veränderungen zu gewinnen.
Wann kommen Ihnen die besten Ideen?
In beruflichen Gesprächen. Wenn ich mich mit anderen unterhalte, kommen die Ideen und dann entsteht ein „Pingpong-Spiel“. Ich habe eine Idee, der andere erweitert diese oder bringt eine neue ein und dann beginnt etwas zu wachsen.
Wenn ich im privaten Umfeld bin, dann bin ich wirklich zu Hause. Ich schaffe es, sehr gut abzuschalten.
Wie wird Ihr Beruf im Jahr 2050 aussehen?
Wenn ich diese Frage auf das beziehe, was ich mache, die Führung, so denke ich, wird sich diese deutlich verändern. Ich wünsche mir sehr, dass wir nicht in ein Zeitalter der „click worker“ rutschen, die nur noch ausführen, statt zu gestalten. Vielmehr hoffe ich, dass das Arbeiten noch demokratischer wird und wir uns in den Unternehmen noch mehr auf Augenhöhe bewegen werden. Führung wird aus meiner Sicht noch stärker faktenbasiert werden. Die Entscheidungsqualität wird zunehmen, da wir in einer immer komplexeren Welt unsere Entscheidungen mit Hilfe von Algorithmen und KI zukünftig auf Grundlage konkreter Daten treffen können.
Was die Softwarebranche angeht, so denke ich, hat auch diese in 30 Jahren noch Bestand. Es wir dann immer noch Menschen geben, die Software programmieren, wenn auch vielleicht mit anderen Fragestellungen als heutzutage. Aber die Tätigkeit wird es noch geben.
S.W.: Sie sprechen die demokratische Führung an, was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die Führungskräfte?
Ich denke, dass Unternehmen und damit auch die Führungskräfte noch viel stärker gefragt sein werden, zu überzeugen. Loyalität wird abnehmen, freie, zeitlich befristete Kooperationen werden zunehmen. Die Menschen werden beruflich mehr ausprobieren und dadurch losere Bindungen eingehen, die es ihnen ermöglichen, schneller zwischen Arbeit- und Auftraggebern oder auch Lebensorten und Lebensstilen zu wechseln.
Teams werden auf Zeit angelegt sein, Strukturen werden flexibler werden. Da ich nicht davon überzeugt bin, dass sich diese Teams oder die erforderlichen Strukturen von selbst finden, wird es Aufgabe der Unternehmer und Führungskräfte sein, diese Strukturen zu schaffen und Menschen zusammenbringen, um Teams zu formen.
Das wird nur gelingen, wenn wir es schaffen, schneller als bisher vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen und Visionen zu vermitteln, die Anziehungskraft besitzen. Was soll erreicht werden? Warum gerade das? Welchen gesellschaftlichen Nutzen hat das? Diese Fragen müssen wir in Zukunft noch viel überzeugender und häufiger beantworten als bisher.
Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass sich der Begriff des Unternehmertums wandeln wird. Unternehmertum wird nicht mehr bedeuten: „Einer hat das Kapital und die Macht und die anderen arbeiten. Sondern Unternehmertum wird zukünftig bedeuten: „Einer oder mehrere haben eine Idee und die Mittel und das Netzwerk, um diese Idee zu realisieren.“
S.W.: Diese losen Kooperationen, die Sie ansprechen, setzen aus meiner Sicht auch voraus, dass die Menschen, die diese Kooperationen eingehen, mutig und offen dafür sein müssen, sich immer wieder auf etwas Neues einzulassen, immer wieder neu zu vertrauen. Wie schaffen wir es, dass unsere Gesellschaft mutiger wird und das Vertrauen überwiegt?
Dafür habe ich auch kein Patentrezept. Aber ich merke, dass wir diese Herausforderung nicht erst in dreißig Jahren zu meistern haben. Wenn wir ehrlich sind, stehen wir heute bereits davor. Denn auch heute sind wir in den Unternehmen bereits mit einem kulturellen Spagat konfrontiert. Auch heute hat bereits die Loyalität zum Arbeitgeber abgenommen. Es ist für die junge Generation nicht mehr erklärtes Ziel, 30 Jahre bei ein und demselben Arbeitgeber zu bleiben. Gerade mittelständische Unternehmen, die keine Konzerngehälter zahlen können, sind gefordert, sich so zu verändern, dass sie als Arbeitgeber attraktiv für junge Fach- und Führungskräfte werden, gleichzeitig aber ihre Attraktivität für die Fach- und Führungskräfte erhalten, die seit Jahrzehnten im Unternehmen sind und wertvolle Erfahrung besitzen, quasi „ihren Laden“ in- und auswendig kennen.
Ich denke, dass dieser Kulturwandel, diese einschneidende Transformation nur gelingt, wenn Führungskräfte und Unternehmer keine „Angst vor der Delle“ haben. Was meine ich damit? Es ist eine Illusion, zu glauben, dass man große Veränderungen schmerzfrei hinbekommt. Wenn man einen Baum zurückschneidet, ist er an dieser Stelle auch erst einmal kahl, bevor wieder etwas Neues wächst. Veränderungen werden weh tun und man wird manchmal auch Leute verlieren, wertvolle Leute, die den Sinn der Veränderung nicht sehen und daher den Weg nicht mitgehen. Das gilt es zu akzeptieren, auch wenn es ein Unternehmen erst einmal zurückwirft und vielleicht sogar Produktivität verloren geht. Aber ich bin davon überzeugt, dass ohne Delle und ohne Schmerzen keine wirkliche Veränderung möglich ist.
Wenn die Angst vor der Delle zu groß ist, wird sie Veränderungen immer im Weg stehen, vor allem den einschneidenden. Das ist übrigens auch etwas, das ich transparent mache, wenn ich Unternehmen neu ausrichte. Denn würde ich das verheimlichen, würde das Vertrauen Schaden nehmen und damit die Basis, die ich brauche, um Veränderungen zum Erfolg zu führen.
S.W.: Wenn Sie an den Anfang Ihres Berufslebens zurückgehen könnten, welchen Weg würden Sie mit der heutigen Erfahrung einschlagen?
Viele Dinge in meinem Lebensweg sind einfach passiert. Ich hatte zwar einen Plan für meine Karriere, und ich habe die darin definierten Ziele auch erreicht, aber es gab auf diesem Weg so viele Zufälle oder glückliche Umstände, die ich nicht alle hätte planen oder vorhersehen können.
Ich bin zufrieden, so wie es ist. Alle Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe, haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin und mich dorthin geführt, wo ich heute stehe. Ich würde nichts anders machen.
Die wichtigste Aufgabe im Leben ist aus meiner Sicht, Vertrauen in den eigenen Weg zu entwickeln. Und so ein Vertrauen versuche ich auch meinen Kindern mitzugeben. Probier‘ Dinge aus. Wenn du hinfällst, steh wieder auf. Verändere etwas wenn nötig, und geh weiter. Selbstvertrauen und das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten zu stärken ist das Wertvollste, das wir unseren Kindern und manchmal auch unseren Mitarbeitern mitgeben können. Den Rest bringt das Leben.
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