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Geschäftsführerwissen Führung

Was bedeutet „Führung“ für Sie, Frau Dr. Merkert?

Für die Leiterin des Bereiches Innovation & Technologies der E.G.O. Elektro-Gerätebau GmbH in Oberderdingen, Dr. Patricie Merkert, umfasst Führung zwei Aspekte: Potenzialentfaltung ermöglichen und visionäres Denken. Im Gespräch mit Sabine Walter erläutert sie, was sie an Führung reizt und wie es ihr gelingt, das Beste aus den Menschen und ihren Teams rauszuholen.

Dr. Patricie Merkert
Foto | P. Merkert

Führung heißt, Visionen zu haben und das Beste aus den Menschen rauszuholen.

S.W.: Was bedeutet Führung für Sie?

Führung umfasst für mich zwei zentrale Aspekte. Zum einen, das Beste aus den Menschen rauszuholen und zum anderen eine visionäre Vorstellung davon zu haben, wo die Reise hingehen soll. 

Wenn ich, so wie aktuell, in ein neues Team komme, nehme ich mir von Anfang an viel Zeit für die Menschen. Ich will sie verstehen: Was macht jeden Einzelnen von ihnen aus? Wie ticken sie? Wofür brennen sie? Was steckt noch in ihnen? Und wie kann ich das rauskitzeln? Menschen zu entwickeln, ist für mich ein zentraler Teil von Führung.

Der andere Teil ist, wie gesagt, eine Vorstellung davon zu haben, wo die Reise hingehen soll. Doch das heißt nicht, dass es nur um meine Vorstellung geht. Mir ist wichtig, dass ich dieses Bild, diese Vision, mit dem Team gemeinsam entwickle. Sie sollen auch dafür brennen. Sie sollen mit dem Herzen dabei sein. Nur dann werden wir auch einen gemeinsamen Weg finden, um diese Vision mit Leben zu erfüllen. 

Also: Wo wollen wir hin? Wie kommen wir dahin? Wie kann ich jeden Einzelnen dafür gewinnen? Und wie schaffe ich es, dass er sich mit seinem ganzen Potenzial einbringt? Diese Fragen definieren für mich Führung.

Führung heißt auch, loszulassen.

Es gibt noch etwas, dass mir gerade einfällt. Führung heißt auch, loszulassen. Ein Beispiel: Wenn Mitarbeiter sich so stark entwickeln, dass sie bei mir nicht mehr den Raum haben, den sie brauchen, um sich weiter zu entfalten, dann lasse ich sie gehen – auch wenn das schwer fällt. Mit einem Mitarbeiter, den ich losgelassen habe, bin ich heute noch im Kontakt, weil wir uns als Sparringpartner schätzen.

Und natürlich gibt es auch Mitarbeiter, bei denen ich trotz aller Anstrengung nicht dazu beitragen kann, dass sie sich entfalten. Vielleicht, weil ich nicht die richtige Person dafür bin. Dann muss ich das akzeptieren. 

Jahrelang habe ich mich in solchen Situationen sehr stark hinterfragt. Mittlerweile verstehe ich, dass die Chemie zwischen zwei Menschen stimmen muss, um Entwicklung zu ermöglichen. Und wenn diese Chemie nicht stimmt, kann nie die Vertrauensbasis entstehen, die für Entfaltung nötig ist. In solchen Fällen ist es meine Aufgabe als Führungskraft, das zu adressieren und diesem Mitarbeiter die Chance zu geben, mit einer anderen Führungskraft zu arbeiten.

Potenzialentfaltung braucht Vertrauen, Zeit und eine offene Kommunikation.

S.W.: Wie gelingt es Ihnen im Führungsalltag, das Potenzial der Mitarbeiter rauszukitzeln?

Das ist bei jedem Menschen verschieden. Aber es gibt ein paar grundlegende Sachen, die ich immer mache. Das erste ist eine offene und proaktive Kommunikation. Ich spreche sehr viel mit den Kollegen, ich erzähle was von mir. Wie gesagt, habe ich vor einigen Monaten ein neues Team übernommen und war in der Situation, Vertrauen aufzubauen. Von Null. Dabei hilft mir, dass ich ein Mensch bin, dem es leicht fällt, allen einen großen Vertrauensvorschuss entgegenzubringen – getreu dem Motto: „Jeder will nur Gutes.“ Natürlich gab es in der Vergangenheit Situationen, wo dieses entgegengebrachte Vertrauen enttäuscht wurde. Dennoch halte ich daran fest, da die Mehrzahl der Kollegen sich schneller öffnet, weil sie spürt, mit welcher Haltung ich ihnen gegenübertrete.

Außerdem wissen die Kollegen, woran sie bei mir sind. Mein allererster Chef sagte mal zu mir: „Frau Dr. Merkert, was ich an Ihnen mag, ist, dass Sie pragmatisch und straight forward sind.“ Damals hatte ich noch keine Idee, was „pragmatisch“ bedeutet. Das musste ich im Wörterbuch nachschlagen. Und als ich die Bedeutung erfuhr, habe ich gesehen, dass er das gut erkannt und auf den Punkt gebracht hat. Und ich denke, diese direkte Art von mir trägt auch dazu bei, dass mir Mitarbeiter schnell vertrauen.

Was tue ich noch? Ich gebe den Kollegen konkrete Aufgaben. Anhand dieser finde ich heraus, wie der Einzelne an diese Aufgaben rangeht, wie er sie löst, wie die Kommunikation mit mir währenddessen ist. Ich finde heraus, was ihnen Spaß macht und was nicht. Ich möchte sehr schnell verstehen, wie Menschen ticken und arbeiten. Bei einigen merke ich unmittelbar, dass sie für eine Sache brennen und sich „reinfuchsen“. Dann springt der Funke über und ich schaue, wie ich diese Kollegen fördern kann. Bei den anderen braucht es etwas mehr Zeit.

Viele Führungskräfte verstehen nicht, was ihre Mitarbeiter brauchen, um sich zu entfalten.

S.W.: Sie haben im Laufe Ihrer Karriere viele verschiedene Führungskräfte erlebt. Welche sind die größten Fehler, die Führungskräfte machen?

Ich denke, das größte Problem ist, richtig einzuschätzen, was jemand kann und was nicht. Und einzuschätzen, was die Person braucht, um sich zu entwickeln. Es gibt viele Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter nicht richtig einschätzen, oder, die erst gar nicht richtig hinschauen. Die Folge ist meistens, dass Führungskräfte zu sehr einschränken und damit Entwicklung bzw. Entfaltung blockieren. Das kann beispielsweise durch zu viel Kontrolle passieren, durch fehlende Offenheit für neue Wege, durch fehlende Verantwortung, die übertragen wird – um nur einiges zu nennen.

Ich führe, weil ich gestalten möchte.

S.W.: Was war Ihr ganz persönlicher Treiber, Führungsverantwortung zu übernehmen?

Der Wunsch zu führen, geht auf eine sehr frühe Erfahrung zurück, die mich geprägt hat. Ich war als Kind bei den Pfadfindern. Und bei den Pfadfindern wird man in der Regel irgendwann einmal Gruppenleiter. Ich hatte meine erste Gruppenleiterverantwortung mit 12 Jahren. Und ich bin gescheitert. Das war im Rahmen eines dreiwöchigen Zeltlagers. In meiner Gruppe waren ältere Teenager und die haben mich so stark herausgefordert, dass ich noch im Zeltlager meine Gruppenleitung abgegeben habe. Diese Erfahrung war eine gute Erfahrung, da ich realisiert habe, dass ich so, wie ich da geführt habe, nicht erfolgreich sein werde. Ich habe in diesen drei Wochen gelernt, dass ich als Führungskraft nur erfolgreich sein werde, wenn ich mit dem Team und nicht gegen es arbeite.

Aber da ich jemand bin, der gern spielt und gern gewinnt, habe ich mich von dieser Erfahrung nicht abschrecken lassen. Im Gegenteil. Ich habe ab dem Alter von 13 jedes Jahr im Zeltlager eine Gruppe geführt, bis ich eines Jahres das ganze Zeltlager geleitet habe.Das war meine erste Führungserfahrung. Aber der Treiber für mich war und ist, Verantwortung dafür zu übernehmen, dass ein gutes Ergebnis erreicht wird. Ein Ergebnis, das ich maßgeblich mitgestalten kann. Das ist bis heute so. Wenn ich etwas mache, mache ich es zu einhundert Prozent. Und da gehört natürlich auch dazu, die Leute so zusammenzuschweißen, dass wirklich etwas Gutes dabei rauskommt.

Menschen wachsen, wenn sie die Möglichkeit haben, sich auszuprobieren und Fehler zu machen.

S.W.: Sie sind auch Mutter. Welche Parallelen gibt es aus Ihrer Sicht zwischen Kindererziehung und Führung?

Das, was mir spontan einfällt, ist, Kindern die Möglichkeit zu geben, sich auszuprobieren und Fehler zu machen. Mit dem Kopf – und gerade als Innovationsleiterin – weiß ich, dass Fehler machen und Scheitern ein wichtiger Teil des Entwicklungsprozesses ist. Aber als Mutter möchte man die eigenen Kinder vor Fehlern bewahren.

Meine Kinder waren eine gute Schule für mich, das, was ich als Chefin mache, auch zu Hause zu „praktizieren“. Letztlich bin ich über meinen Schatten gesprungen und habe losgelassen. Ich habe meine Kinder „machen lassen“. Und die Entwicklungsschritte sind beeindruckend. Auch wenn der Weg dahin alles andere als geradlinig und geebnet war.

Wir brauchen mehr Führungskräfte, die sich als Potenzialentfalter verstehen und für eine Vision begeistern können.

S.W.: Sie haben Führung zu Beginn unseres Gespräches mit zwei großen Schlagworten definiert, visionär denken und Potenzialentfaltung fördern. Wie viele Führungskräfte machen das aus Ihrer Sicht?

Sehr wenige.

Wenn ich selbst zurückblicke, gab es in meiner über zwanzig jährigen Karriere genau zwei Personen. Eine davon, war mein allererster Chef. Er hat mir den Raum gegeben, mich zu entwickeln und ich haben diesen genutzt. Die andere Führungskraft, die mich geprägt und entwickelt hat, war ein Geschäftsführer. Er hat -ohne, dass er das musste oder es in irgendeinem Entwicklungsprogramm vorgeschrieben war – die Rolle eines Mentors übernommen. Unsere berufliche Zusammenarbeit ist schon lang beendet, aber wir haben immer noch regelmäßig Kontakt und tauschen uns aus. Das schätze ich sehr.

Ein Paradigmenwechsel in der Führung zieht mehr unternehmerischen Erfolg nach sich.

S.W.: Nehmen wir mal an, es würden mehr Führungskräfte dieses Führungsverständnis leben, welche Chancen ergäben sich dann für die Unternehmen?

Mehr Geld, um es platt zusammenzufassen. Wir hätten viel mehr genutztes Potenzial, viel zufriedenere Mitarbeiter, die zum einen ihre Zufriedenheit auf Kunden übertragen und sich zum anderen viel engagierter einbringen und Ideen in Prozesse, Produkte und Dienstleistungen, und damit in „Geld“ verwandeln.

Wenn es gelänge, dann noch das große Bild, also die Vision, zu kreieren und zu vermitteln, wären Unternehmen erfolgreicher, weil eine Richtung klar ist und die Leute nicht in 15 verschiedene Richtungen laufen und Zielkonflikte entstehen, die auf unterster Arbeitsebene ausgefochten werden und bei denen sich Mitarbeiter aufreiben.

Unternehmen, die ein klares Bild haben, was von allen getragen wird und dann auch noch dafür sorgen, dass jeder sein Potenzial entfalten kann, würden auch viel leichter die richtigen Talente bekommen, um das, was sie vorhaben, umzusetzen und letztlich unternehmerisch erfolgreich zu sein.

Dr. Patricie Merkert studierte Physik, promovierte in Materialwissenschaft und erwarb parallel zum Beruf einen MBA. Sie arbeitete in diversen Industrien als Entwicklungs- und Innovationsleiterin und verantwortet seit November 2019 den Bereich Innovation & Technologies der E.G.O. Elektro-Gerätebau GmbH in Oberderdingen.

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