Was ist eine Transformation, und was grenzt sie von einer Veränderung ab?
„Transformation“ leitet sich vom lateinischen Wort „transformare“ ab. Das bedeutet umformen. Umformen ist mehr als verändern. Beim Umformen bleibt unter Umständen kein Stein auf dem anderen. Bekanntes wird über Bord geworfen, Neues nimmt Raum ein, auch wenn es noch nicht verstanden und durchdrungen werden kann – geschweige denn, beherrschbar erscheint. Um Transformationsprozesse in den Unternehmen erfolgreich zu gestalten, ist es wichtig, den Unterschied zwischen einer Veränderung und einer Transformation zu verstehen.
Eine Transformation ist eine strukturelle Veränderung, eine fundamentale Wandlung von gewohnten und über Jahrzehnte etablierte Strukturen, von definierten Schwerpunkten, vertrauten Kompetenzen und verinnerlichten Glaubenssätzen. Eine Transformation ist also etwas, das Vertrautes neu definiert. Eine Transformation bricht mit Routinen, fordert auf, die Komfortzone zu verlassen und sich Unbekanntes zu erschließen, Neues zu wagen. Eine Transformation ist deutlich mehr als eine Veränderung. Sie ist umfassender, tiefgreifender und komplexer. Dadurch ruft sie noch mehr Ängste und Unsicherheit hervor. Viele Veränderungen passieren bei einer Transformation gleichzeitig, ohne ein klares Ziel- oder Sollbild vor Auge zu haben.
Bei einer Veränderung oder einem Veränderungsprozess ist aber genau das gegeben. Dort steht in der Regel ein klares Zielbild am Anfang des Prozesses. Alle Entscheidungen und Maßnahmen sind auf dieses Zielbild ausgerichtet. Meilensteine wurden definiert. Ihr Erreichen ist messbar – ähnlich wie das Erreichen des Zielbildes. Bei einer Transformation ist das Zukunftsbild vage oder nicht vorhanden. Wie wird eine digitale Gesellschaft aussehen? Wir wissen es nicht. Wir haben vereinzelte Vorstellungen davon, aber ein komplettes Bild mit all seinen Chancen und Möglichkeiten, mit seinen Risiken und Nachteilen, das hat keiner von uns.
Wir fahren auf Sicht. In den Unternehmen und in der Gesellschaft. Meilensteine sind nur schwer definierbar. Das führt zu einer Unsicherheit im ganzen Prozess. Wo stehen wir? Was haben wir bereits erreicht? Welche Herausforderungen liegen noch vor uns? Wann ist die Transformation abgeschlossen? Diese und andere Fragen sind allgegenwärtig. Doch dieses „auf Sicht fahren“ birgt unendlich viele Chancen, wenn wir sie zu nutzen wissen. Wir können experimentieren, ausprobieren, uns Schritt für Schritt herantasten, Erfahrungen in die weitere Entwicklung integrieren. Wenn wir den Mut dazu haben.
Damit eine Transformation gelingt, braucht es mehrere ineinandergreifende und aufeinander aufbauende Veränderungen. Eine Transformation ist nie abgeschlossen. Sie läuft kontinuierlich weiter wie ein Perpetuum mobile.
Eine Transformation ist kein Sprint. Eine Transformation ist ein Marathon. Sie zu gestalten, erfordert Ausdauer und die Fähigkeit, in Unbekanntem zu navigieren. Menschen, die das können, haben einen starken inneren Kompass. Und das sind genau die Menschen, die solche Transformationsprozesse formell oder informell führen und andere für das Mitgestalten gewinnen können.
Was aber genau bedeutet Führung und was grenzt sie vom Management ab?
Was ist der Unterschied zwischen Führung und Management?
Oft werden die Worte „Management“ und „Führung“ synonym gebraucht. Doch sind es zwei verschiedene Dinge. Managen lassen sich Prozesse und Krisen. Menschen werden geführt. Während der Fokus des Managements darauf liegt, etwas beherrsch- und kontrollierbar zu machen, geht es beim Führen um das Gegenteil. Es geht ums Loslassen und damit um Vertrauen.
Wie ist eine Transformation zu führen?
Ein Hindernis erfolgreicher Transformationsprozesse ist Angst. Das Gegenteil von Angst ist Vertrauen. Vertrauen ist somit ein zentrales Element, um Transformationen in Unternehmen und in unserer Gesellschaft aktiv zu gestalten. Vertrauen hat eine Chance zu wachsen, wenn Dinge verstanden werden und ein Stück weit beherrschbar sind, also gemanagt werden können. Das wiederum braucht Führung. Eine Führung, die dem Einzelnen ermöglicht, selbstbestimmt zu handeln und in eigenem Tempo mit eigenen Fähigkeiten Dinge zu durchdringen, Veränderungen anzustoßen, zu gestalten und zu einem definierten Ziel zu führen.
Diese Entwicklungs-, Gestaltungs- und Entscheidungsräume zu schaffen, ist Aufgabe transformativer Führung.
Wodurch zeichnet sich diese transformative Führung aus?
Die transformative Führung hat zum Ziel, die Selbstwirksamkeit der Mitarbeiter zu stärken. Sie muss Entwicklung möglich machen und Selbstvertrauen stärken. Wie gelingt das konkret?
Erstens: Die Haltung der Führungskräfte
Transformativ zu führen, heißt uneigennützig und unterstützend zu führen – dem Selbstverständnis folgend, anderen Raum zu geben, sich zu entwickeln. Transformative Führung hat den Anspruch, Menschen in ihre Selbstwirksamkeit zu bringen, um so ihr volles Potenzial der Gestaltung der Transformation zu widmen. Transformative Führung ist immer auf Augenhöhe, wohlwollend und auf den Einzelnen zentriert.
Zweitens: Die Umsetzung im Führungsalltag
Im Führungsalltag geht es darum, den Menschen immer wieder den Sinn der Transformation erfassen zu lassen. Nur, wenn sie das Gesamt und ihr individuelles Handeln als sinnstiftend sehen, werden sie sich dauerhaft einbringen und Vertrauen in den Prozess und ihr Wirken fassen.
Um komplexe und langwierige Transformationsprozesse zu einem erfolgreichen Ergebnis zu führen, müssen die Beteiligten intrinsisch motiviert sein. Sie müssen bewegen und verändern wollen – aus sich heraus – einer vagen Zielvorstellung und Idee folgend. Für Führungskräfte bedeutet das, dass sie mit Begeisterung dabei sein müssen, um bei anderen das Feuer zu entfachen, mitzugestalten. Dieses Feuer über eine lange Zeit am „Lodern“ zu halten, ist das Geheimnis ihres Erfolges und gleichzeitig Anforderung an die eigene Führungspersönlichkeit und die Art der Führung des Prozesses. Eine hohe Frustrationstoleranz, eine ausgeprägte Lösungsfokussierung und die Fähigkeit, Scheitern als Chance zu sehen, sind damit unabdingbare persönliche Kompetenzen. Welche Kompetenzen gehören noch dazu?
- Vertrauen haben
- die Fähigkeit, Hochleistungsteams zu formen
- Bedürfniskompetenz zusprechen und Entscheidungskompetenz abgeben
- Verantwortung abgeben
- Transparenz schaffen
- Fehler begrüßen und Scheitern zulassen
- Entwicklungsräume schaffen
- Innovation fördern
- sich selbst kontinuierlich weiterentwickeln
- Strukturen schaffen
Schauen wir uns diese Kompetenzen im Detail an.
Vertrauen haben
Mangelndes Vertrauen macht Entwicklung jeglicher Art unmöglich, also auch eine Transformation. Mangelndes Vertrauen lässt es nicht zu, dass Hochleistungsteams entstehen, quer gedacht, ausprobiert und experimentiert wird. Mangelndes Vertrauen macht eine konstruktive Fehlerkultur unmöglich und zerstört damit Kreativität und Innovationskraft. Deshalb nimmt Vertrauen eine Schlüsselrolle im Bereich der Führung von Transformationen ein.
Damit Vertrauen entstehen und wachsen kann, ist ein integrer Charakter genauso erforderlich wie Kompetenz. Angstfreiheit und ein tiefes Selbstvertrauen helfen dabei, auch anderen zu vertrauen.
Es ist Aufgabe der Führungskräfte in einer transformativen Führung, das Selbstvertrauen ihrer Mitmenschen zu fördern durch Lob und Anerkennung, Ermöglichung von Selbstdefinition, Selbstorganisation des eigenen Aufgabenbereiches innerhalb eines definierten Rahmens und dem Zulassen des Scheiterns.
Die Fähigkeit, Hochleistungsteams zu formen
Hochleistungsteams unterscheiden sich von „normalen“ Teams durch „blindes“ Vertrauen. Damit dieses Vertrauen auch dann Bestand hat, wenn es personelle Veränderungen im Team gibt, sind der Auswahlprozess, das Onboarding bzw. die Integration neuer Teammitglieder, aber auch der Prozess des Ausscheidens von zentraler Bedeutung.
Diese Prozesse zu gestalten, ist auch Aufgabe der Führungskräfte.
Bedürfniskompetenz zusprechen und Entscheidungskompetenz abgeben
Die Transformation wird sich nur gestalten lassen, wenn jeder die Dinge entscheiden kann, die das Vertrauen in den Prozess fördern und erhalten. Selbstverständlich verändert sich das mit wachsenden Kompetenzen. Wichtig ist, dass Führungspersonen das Fingerspitzengefühl entwickeln, Entscheidungskompetenzen angemessen abzugeben und anderen Entscheidungen zuzutrauen. Damit geht einher, dass ein „ja“ als „ja“ und ein „nein“ als „nein“ akzeptiert wird.
Verantwortung abgeben
Verantwortung als Führungskraft abzugeben, impliziert, dass eigene Umfeld als gleichwertig und mündig zu sehen. Dies gelingt nur, wenn eine Führungskraft sich selbst so annimmt, wie sie ist; und aus diesem Selbstvertrauen das Vertrauen in andere erwächst.
Verantwortung abgeben, bedeutet auch, keinen Machtanspruch zu haben. Im Gegenteil, Führungspersönlichkeiten, die loslassen, brauchen nicht die alleinige Verantwortung für die Weiterentwicklung, das Gelingen, tragen. Sie machen damit andere zu „Mitgestaltern“.
Transparenz schaffen
Zu den Kompetenzen transformativer Führung gehört es auch, Transparenz zu schaffen. Das setzt voraus, dass Informations- und Wissensvorsprung nicht als Machtinstrument verstanden und genutzt werden, sondern Information und Wissen als elementarer Teil erfolgreicher Transformationsprozesse gesehen werden.
Voraussetzung dafür ist Angstfreiheit. Warum? Weil dann
- jeder das Vertrauen hat, das er gebraucht und wertgeschätzt wird und Wissensvorsprung als Machtinstrument nicht benötigt wird,
- jeder gleichwertig ist und als gleichwertig gesehen wird,
- jeder die Informationen und das Wissen nutzen kann, um sich zu entwickeln.
Transparenz schaffen heißt, faktenbasiert zu kommunizieren und einen Sachverhalt aus unterschiedlichen Perspektiven wertfrei darzustellen. Ziel dieser faktenbasierten, wertfreien Kommunikation ist es, dass sich jeder seine eigene Meinung bilden kann.
Transparenz in Transformationsprozessen bedeutet aber auch, nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen und Informationen und Wissen allen Beteiligten zugänglich zu machen, so dass eine Lernkultur gelebt wird und alle von „der Intelligenz des Schwarms“ profitieren.
Fehler begrüßen und Scheitern zulassen
In unserer Gesellschaft bewerten wir Fehler als Ausdruck von Nachlässigkeit, mangelnder Kompetenz oder unzureichender Verantwortungsbereitschaft. Deshalb sehen viele das „Fehlermachen“ als persönlichen Makel, der Scham nach sich zieht und am Selbstvertrauen nagt. Aus diesem Kreislauf der fehlenden Fehlertoleranz erwächst eine Angst, Neues auszuprobieren, querzudenken, neue Wege zu gehen – also innovativ zu sein.
Eine Transformation erfordert aber genau das. Neues wagen, quer denken, ausprobieren, experimentieren, „zurück auf Los“, forschen, kombinieren – also innovativ zu sein. Deshalb ist eine konstruktive Fehlerkultur zu etablieren Führungsaufgabe.
Ich gehe sogar soweit zu fragen: „Kann es Fehler in einer Transformation überhaupt geben?“ Woran messen wir, dass Dinge oder Entscheidungen fehlerhaft sind. Bei komplexen Transformationsprozessen erlangen wir dieses Wissen oft nur mit erheblichem zeitlichen Versatz. Deshalb geht es nicht um die Korrektur von Fehlern, sondern um das Neubewerten von getroffenen Entscheidungen unter veränderten Rahmenbedingungen und Informationen.
Entwicklungsräume schaffen
Transformative Führung erfordert, andere dazu einzuladen, selbst Verantwortung für sich, die eigene Entwicklung und die des Teams zu übernehmen, also auch Führung zu übernehmen. Das erfordert, dass Führungspersonen:
- Raum geben, statt einzuengen,
- fördern, statt fordern,
- andere sein lassen, statt zu bevormunden,
- zuhören und nachfragen, statt zu sagen und
- vorleben, wie man Angst überwinden kann.
Führungspersönlichkeiten, die transformative Führung leben, sehen auch für sich selbst Führung als Wechselspiel aus führen und führen lassen.
Innovation fördern
Wie bereits skizziert, sind Innovations- und Fehlerkultur eng miteinander verbunden. Doch ist Innovation weit mehr als ein konstruktiver Umgang mit Fehlern. Um innovativ zu sein, braucht man den Blick für das Ganze, man muss vernetzt denken und in der Lage sein, Bestehendes komplett aus seinem Denken auszuklammern. Das fällt leichter, wenn man sich im Alltag überhaupt nicht mit der Thematik der Fragestellung beschäftigt, sondern quasi ein „Außenseiter“ auf dem Gebiet ist.
Deshalb ist es für eine Transformation von entscheidender Bedeutung, interdisziplinäre Team zu formen und (wechselnde) Kooperationen einzugehen. Das wird nur gelingen, wenn alle Vertrauen in das Team und Kooperationen bzw. Innovationspartnerschaft haben. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Menschen die Angst, dass Wissen „verraten“ wird, verlieren.
Sich selbst kontinuierlich entwickeln
Führungspersönlichkeiten sind gefordert, sich selbst kontinuierlich weiterzuentwickeln und dauerhaft zu lernen. Dazu zählt vor allem die fortlaufende Entwicklung der eigenen Persönlichkeit: das Lösen von Ängsten und starrer Verhaltensmuster und das Stärken des Selbstbewusstseins und Selbstvertrauens.
Ferner geht es darum, eine Haltung zu entwickeln, die die Suche nach der perfekten Lösung dem schrittweisen Annähern, dem Experimentieren und ins Tun kommen, unterordnet.
Strukturen schaffen
Auch wenn diese Kompetenz auf den ersten Blick verwundern mag, ist sie doch von zentraler Bedeutung. Strukturen in komplexen, unübersichtlichen, zeitliche unbegrenzten Situationen zu etablieren, schafft Vertrauen. Wichtig dabei ist, dass diese Strukturen flexibel bleiben, ihre Sinnhaftigkeit und ihr Nutzen immer wieder hinterfragt werden. Strukturen in Transformationsprozessen sind „lebende Organismen“. Deshalb ist es wichtig, dass mit ihnen keinerlei Macht- oder Statussymbole verknüpft sind, sondern sie allein der Sache dienen.
Fazit
Transformative Führung ist Voraussetzung für gelungene Transformationsprozesse
Transformation gewinnt dann an Fahrt, wenn wir viele Menschen dafür gewinnen, quer zu denken, zu experimentieren und „einfach zu machen“. Diese Menschen können wir durch eine transformative Führung ermutigen und unterstützen. Das gelingt vor allem mit Vertrauen, Selbstvertrauen und Beziehungsvertrauen. Dieses Vertrauen zu schaffen, zu stärken und auch bei Rückschlägen zu erhalten, ist Aufgabe der Führungspersonen. Am eigenen Vertrauen kontinuierlich zu arbeiten und eigene Ängste zu minimieren ist ein zentrales Element der eigenen Weiterentwicklung. Führung auf Augenhöhe, der Sache und nicht dem Machterhalt verpflichtet, ist notwendig, um die Selbstwirksamkeit aller Prozessbeteiligten zu wecken und zu stärken.
Transformative Führung ist in Organisationen, Unternehmen und unserer Gesellschaft essenziell, wenn wir den Wandel von der Industrie- zur Digitalgesellschaft aktiv und zu unserem Wohl gestalten wollen.
Haben Sie beim Lesen des Beitrags Impulse erhalten?