Ewald Stephan
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11 Min.

Sabine Walter im Gespräch mit …

Ewald Stephan, Vorstand der Verka VK Kirchliche Vorsorge VVaG

Herr Stephan, was lieben Sie an Ihrem Beruf?

Ich liebe an meinem Beruf, dass jeder Tag etwas Neues mit sich bringt. Ich habe vor 43 Jahren mein Examen gemacht und seitdem so gut wie keine Routine erlebt. Routine muss ja nicht schlecht sein, aber für mich ist es nichts. Ich bin ein neugieriger Mensch und ständig auf der Suche nach neuen Impulsen und Lernfeldern. Dieser innere Treiber passt gut zu meiner Aufgabe als Vorstand. Schließlich geht es da vor allem darum, Impulse zu setzen, etwas Neues anzustoßen, neue Richtungen vorzugeben, neue Ideen und Geschäftsansätze zu entwickeln. Und als Vorstand der Verka habe ich auch die Freiheit dazu.

Ein anderer Aspekt, dem ich mich mit Herzblut verschrieben habe, ist die Nachhaltigkeit. Als ich 2009 als Vorstand zur Verka kam, konnte ich nachhaltiges unternehmerisches Handeln endlich gestalterisch voranbringen. Wir haben als Pionier in der Branche sukzessive die Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage und darüber hinaus implementiert. Heute, 11 Jahre später, gelten wir als Vorreiter und dürfen uns, gemeinsam mit der Allianz SE, in Deutschland ESG Leader nennen (ESG: Environment, Social, Governance).

S.W.: Was verstehen Sie unter Nachhaltigkeit?

Es gibt keine einheitliche Definition für Nachhaltigkeit. Unser Verständnis davon basiert auf der Definition der Brundtland-Kommission aus dem Jahr 1987. Darin heißt es: „Dauerhafte (nachhaltige) Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Diese Definition deckt sich auch mit dem Kantschen Prinzip der Verantwortung. Das bedeutet, dass mein Handeln heute zukünftige Generationen nicht in ihrer Entfaltungsmöglichkeit einschränken darf. Die Fragestellungen, die wir in diesem Zusammenhang betrachten, reichen vom Erhalt der Schöpfung, also dem Erhalt von Mensch, der Artenvielfalt, Biodiversität und Natur, über viele sozialen Themen wie Gleichberechtigung, faire Löhne, gerechte Arbeitsbedingungen, Armutsbekämpfung bis zur Generationengerechtigkeit, also auch der Höhe unserer Staatsverschuldung – ein aktuelles Thema in dieser Corona-Krise.

SW: Was bedeutet diese Definition der Nachhaltigkeit für das Geschäftsmodell der Verka?

Wir sind als kirchlicher Investor christlich-ethischen Werten verpflichtet. Und diesen Werten sind wir auch bei unseren Kapitalanlagen treu. Das heißt, wir richten unsere Anlagen an Aspekte wie Sozialverträglichkeit, Ökologie und Generationengerechtigkeit aus. 

Anders ausgedrückt: In Unternehmen, die diesen Werten und Aspekten nicht entsprechen, weil sie z.B. Menschenrechte verletzen, die Umwelt verschmutzen, Rüstungsgüter herstellen oder Tierversuche für kosmetische Zwecke einsetzen, in diese Unternehmen investieren wir nicht. Ähnlich verhält es sich mit Staaten, die beispielsweise geltende Klimaschutz-Standards missachten, in denen die Korruption grassiert, die Menschenrechte mit Füßen treten oder die Todesstrafe praktizieren. Generell gilt das Prinzip, dass wir nicht an Gewinnen partizipieren wollen, deren Grundlagen ethisch-moralisch nicht vertretbar sind. Vielmehr wollen wir dort investiert sein, wo die ESG-Kriterien besonders hoch gehalten werden oder Unternehmen begleiten, die sich im Rahmen einer Transition erkennbar und nachweislich bemühen, sich dorthin zu entwickeln.  

SW: Wann ist Nachhaltigkeit Ihr Steckenpferd geworden?

Diese Frage bekomme ich oft gestellt. Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen und habe schon früh ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass sich viele Akteure in unserer Gesellschaft ihrer Verantwortung nicht bewusst sind oder dieser nicht gerecht werden, teilweise auch nicht werden wollen.

Akteure, die aus meiner Sicht nicht nur die Verantwortung, sondern auch die Kraft dazu haben, unsere Gesellschaft mitzugestalten und im positiven Sinne weiterzuentwickeln, sind Investoren. Investoren, und dazu gehört die Verka, können darüber entscheiden, wem sie wofür Geld geben und was mit diesem Geld gemacht wird. Oft wird der Verantwortungsbereich aber gerade bei Investoren zu eng gedacht. Sie fühlen sich oft nur dazu verpflichtet, eine möglichst hohe Rendite zu erwirtschaften. Doch ist die Rendite nur ein Aspekt der unternehmerischen Verantwortung. Für uns als Gesellschaft ist auf lange Sicht die viel wichtigere Fragestellung: „Womit verdienen wir Geld? Und nicht, wie verdienen wir so viel Geld wie möglich?“ Wir Investoren haben einen sehr großen Einfluss auf Vorstände börsennotierter Unternehmen. Und wir sind dazu aufgerufen, diesen Einfluss zum Wohle einer nachhaltigen Gesellschaft auszuüben.

SW: Was ist die größte Herausforderung dabei?

Nicht nachzulassen, immer am Ball zu bleiben. Nachhaltig handelt man nicht auf Knopfdruck. Das ist ein Prozess, ein Selbstverständnis, das sich entwickeln muss. Zwar spielen Nachhaltigkeitsaspekte auch in der Regulatorik von Banken und Versicherungen eine immer größere Rolle, dennoch treiben viele Unternehmen das Thema nicht aus innerer Überzeugung voran. Diese innere Überzeugung zu verändern, wird auch Gegenstand meiner zukünftigen Tätigkeit sein. Altersbedingt verlasse ich die Verka im Frühjahr, doch für den Ruhestand fühle ich mich noch nicht reif genug.

SW: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hebel, um diese innere Überzeugung zu verändern?

Die Werte. Viele Unternehmen sind sich ihrer Werte nicht bewusst oder haben ihre Werte nicht operationalisiert. Nehmen wir an, ein Unternehmen hat den Wert „Vertrauen“ für sich definiert. Dann reicht es nicht, diesen aufzuschreiben. Nein, es geht darum, das unternehmerische Handeln darauf auszurichten: „Was bedeutet der Wert Vertrauen für uns als Unternehmen?“ „Was bedeutet das für unsere Führung oder für die Art und Weise, wie wir Mitarbeiter entwickeln?“ „Was bedeutet dieser Wert für den Umgang mit Kunden und Geschäftspartnern?“ „Was bedeutet er für unsere Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle?“

Also: Mein zukünftiges Ziel ist einerseits, ein Wertebewusstsein bei den Firmen, die ich beraten möchte, zu schaffen und dieses Bewusstsein ins geschäftliche Tun zu überführen. Andererseits möchte ich mit dem Irrglauben aufräumen, dass Nachhaltigkeit Rendite kostet. Das ist nicht so. Das haben wir als Verka bewiesen.

SW: Wann war der Wunsch geboren, diesen beruflichen Weg einzuschlagen und ggf. auch als Vorstand Verantwortung für ein Unternehmen zu übernehmen?

Ich habe Betriebswirtschaft studiert und nach dem Studium bei der Colonia Versicherung in Köln angefangen. Als ich dann in meiner damaligen Aufgabe mit Vorständen zu tun hatte, kam irgendwann mal der Gedanke: „Ach, das könntest du eigentlich auch!“ Dieser Gedanke hielt sich so lange, bis mir mal ein Abteilungsleiter sagte: „Sie haben nicht das Format zum Vorstand. Wenn Sie Vorstand werden wollen, müssen Sie sich auch wie einer benehmen.“ Irgendwie scheine ich das ja geschafft zu haben (lacht).

Welche Parallelen gibt es zu dem, was wir tun, der Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung?

Eigentlich machen wir beide das Gleiche. Sie fördern Menschen und helfen Organisationen, sich weiterzuentwickeln. Und wir Vorstände machen das in unserem Unternehmen, der Verka. Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Die Führungskräfte, die Sie, Frau Walter, bei uns kennengelernt haben, sind andere als die, die 2009 da waren, als ich als Vorstand zum Unternehmen kam. Teilweise sind es tatsächlich andere Personen. In vielen Fällen aber, haben sich die Menschen von damals signifikant weiterentwickelt. Für meinen Vorstandskollegen, Herrn Remmert, und für mich war damals sehr klar, dass wir auf unserer ersten Führungsebene Persönlichkeiten mit anderen Fähigkeiten und Qualifikationen brauchten als die, die wir damals vorfanden. Also haben wir den Führungskräften unser Vertrauen geschenkt, sie gezielt gefördert und entwickelt – und damit die Organisation. Genau das machen Sie, liebe Frau Walter, auch. Deshalb ergänzen wir uns ja so gut.

S.W.: Wie hat sich im Laufe Ihrer beruflichen Laufbahn das Verständnis von „Führung“ gewandelt?

Früher ging es verstärkt um Methoden und Tools. Heute geht es vielmehr um die Haltung, mit der geführt wird, um die Werte, die das Führungsverhalten prägen. Es geht um Vertrauen, es geht um Purpose. Warum tun wir das, was wir tun? Wofür stehen wir? Wie wollen wir miteinander umgehen?

Ich würde sagen, wir kümmern uns heute in der Führung viel stärker um Kulturfragen als wir das früher getan haben: „Wie sieht unsere Vertrauenskultur aus? Was zeichnet unsere Streitkultur aus? Welche Entscheidungskultur wollen wir im Unternehmen leben?“ Diese und andere Fragen haben an Präsenz in den Organisationen gewonnen.

Ein anderer Aspekt, der sich aus meiner Sicht im Laufe der Jahre verändert hat, ist die Integration des Unternehmertums in die Unternehmen. Weg von der Marionette hin zu aktivem Gestalten und der damit einhergehenden Verantwortung. Als Führungskraft Unternehmer im Unternehmen zu sein, das kam erst in den letzten 10-15 Jahren dazu. Und um diese unternehmerische Verantwortung auch ausleben zu können, braucht es wiederum Vertrauen, es erfordert Entscheidungskompetenz und vor allem Rückendeckung.

Ich kann mich noch sehr gut an meinen allerersten Chef erinnern. Er hat mir immer dieses Gefühl der Rückendeckung gegeben, auch wenn es mal nicht optimal lief. Das hat mich und mein späteres Führungsverhalten geprägt.

Wann kommen Ihnen die besten Ideen?

Nicht bei der Arbeit. Eher beim Sport, bei der Bewegung an der frischen Luft. Ich führe es darauf zurück, dass das Gehirn bei körperlicher Aktivität besser durchblutet wird. Sogar Dinge, die ich vergessen habe, fallen mir beim Sport wieder ein. 

Sonst beim Zähneputzen, beim Rasieren oder im Austausch mit meiner Frau. Nur nachts, da habe ich keine Ideen, da schlafe ich tief und fest.

Wie wird Ihr Beruf im Jahr 2050 aussehen?

Eine große Herausforderung, der sich unsere Branche bereits stellt und sicherlich auch weiter stellen muss, sind die niedrigen Zinsen. Wir müssen Garantiezinsen erwirtschaften. Das wird bei der Niedrigzinspolitik immer mehr zum unternehmerischen Risiko, wie die Liquidation erster Pensionskassen zeigt. Wenn diese Politik noch 5-10 Jahre so bleibt, werden noch mehr Pensionskassen liquidiert werden. 

Hinzu kommt, dass leider auch Betriebliche Altersvorsorge (bAV) zunehmend an Bedeutung verliert. Viele Firmen bieten ihren Mitarbeitern keine bAV mehr an. Wir kämpfen also nicht nur mit niedrigen Zinsen, sondern auch mit einem wegbrechenden Bedarf. Das zeigt, dass unsere Branche dringend neue Ideen braucht, um zu überleben.    

S.W.: Was wird Sie persönlich in den kommenden Jahren antreiben?

Weiterhin die Nachhaltigkeit – sie ist überlebenswichtig für die Menschheit. Ich bin überzeugt davon, dass in der Nachhaltigkeit viele Chancen liegen. Das habe ich vorhin beschrieben. Und ich möchte dazu beitragen, dass diese Chancen gesehen und genutzt werden.

Nachhaltiges Handeln hat das Potenzial dazu, zu einem Wettbewerbsvorteil für Unternehmen zu werden. Ich möchte dazu beitragen, dass immer mehr Führungskräfte dies erkennen. Unterstützt werden könnte ein solche Entwicklung auch dadurch, dass Nachhaltigkeitsaspekte in die Vergütungsregelungen von Vorständen, Aufsichtsräten und Führungskräften einfließen und somit nachhaltiges unternehmerisches Handeln auch einen persönlichen Anreiz für die hat, die die Ausrichtung eines Unternehmens maßgeblich prägen.

S.W.: Wenn Sie auf Ihr berufliches Leben zurückblicken, was würden Sie genauso noch einmal machen? Was würden Sie verändern?

Vielleicht würde ich den Beginn meiner beruflichen Laufbahn anders gestalten. Ich hatte damals nach dem Studium die Möglichkeit als Trainee nach New York und nach Singapur zu gehen. Diese Chance habe ich leider nicht ergriffen. Das würde ich heute anders machen. Doch das ist ein kleiner Aspekt.

Wenn ich insgesamt auf mein Berufsleben schaue, bin ich sehr zufrieden und würde nichts ändern. Und dass, obwohl ich ursprünglich Medizin studieren wollte. Doch ich hatte damals den NC knapp verpasst und wollte die 5-6 Jahre Wartezeit nicht irgendwie überbrücken, so habe ich BWL studiert und nebenbei noch eine Ausbildung zum Rettungssanitäter und Rettungsassistenten gemacht. Ich bin 25 Jahre ehrenamtlich in Köln Rettungs- und Notarztwagen gefahren und konnte somit auch meine Leidenschaft für die Medizin ausleben.

Außerdem hat das Ehrenamt dazu beigetragen, dass ich in all den Jahren meiner Managementtätigkeit immer die Bodenhaftung behalten habe und wusste, wo ich herkomme. Und ich habe dadurch noch etwas gelernt: Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, wie gut es mir und meiner Familie geht. Gleichzeitig hat mich das auch demütig gemacht und mein Bewusstsein für die Verantwortung geschärft, die ich als Unternehmenschef, als Investor und als Mensch in dieser Gesellschaft trage.

Ewald Stephan ist studierter Betriebswirt und seit 2009 Vorstand der Verka VK Kirchliche Versorgung VVaG in Berlin. Das Unternehmen wurde 1924 als Spezialversicherer für Mitarbeiter der Kirche und Diakonie gegründet. Mit Lösungen und Produkten zur betrieblichen Altersvorsorge und Kapitalanlage verwaltet die Verka rund 2 Milliarden Euro. Das Unternehmen gehört der Initiative Entrepreneurs For Future an und richtet sein unternehmerisches Handeln konsequent an christlich-ethischen Werten aus.

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