Elefant durchbricht eine Mauer - Agile Transformation - managementberatung | coaching
Foto | Aleksandr_K on Shutterstock
11 Min.

Organisationsentwicklung | Agile Leadership

Agile Transformation erfolgreich führen

Von Sabine Walter, Head of netzwerk managementberatung | coaching

Immer mehr Unternehmen arbeiten agil oder stellen zumindest einzelne Unternehmensbereiche auf agiles Arbeiten um. Solche „Pilotbereiche“ sind beispielsweise die IT oder der Innovationsbereich. Egal, ob ein ganzes Unternehmen seine Kultur verändert oder nur Teilbereiche diese Veränderung durchlaufen, selten gelingt dieser Prozess reibungslos. In diesem Artikel skizzieren wir die unterschiedlichen Phasen, die eine agile Transformation umfasst und stellen die aus unserer Sicht kritischen Erfolgsfaktoren dar.

Jeder Transformationsprozess orientiert sich an den sechs Phasen des menschlichen Lern- und Entwicklungsprozesses:

6 Phasen der Entwicklung - managementberatung | coaching
Transformationsprozess: Sechs Phasen der Entwicklung

Und er betrifft drei zentrale Ebenen eines Unternehmens: die Strukturen und Prozesse, die Kompetenzen und die Kultur.

Nachfolgend betrachten wir die kritischen Erfolgsfaktoren in den einzelnen Phasen und Entwicklungsstufen.

Agile Transformation erfolgreich führen

Transformationsprozess: Phase 1 – Dürfen

Zentrales Element in dieser Phase ist das Abgeben von Verantwortung und damit auch von Entscheidungskompetenz an Mitarbeitende und Teams. Gerade in Unternehmen, die bisher sehr stark hierarchisch geführt wurden oder in Unternehmen, in denen die Bereiche außerhalb des Pilotteams noch sehr stark hierarchisch geführt werden, ist das die erste zentrale Hürde, die es zu meistern gilt. Nimmt man sie nicht, wird die Transformation weder vorankommen noch gelingen.

Im Mittelpunkt dieser ersten Phase steht die Frage: Wer darf was entscheiden? Die Klärung dieser Frage ist ein iterativer Prozess. Das Abgeben von Verantwortung, also das Loslassen, wird bei den Führungskräften oder Spezialisten nicht über Nacht geschehen, es braucht Zeit und Vertrauen.

Ein Instrument, das dabei hilft, Entscheidungsebenen transparent zu machen, ist die Delegationsmatrix.

Entscheidungsebenen transparent machen: Delegationsmatrix - netzwerk managementberatung coaching
Beispiel für eine Delegationsmatrix

Wichtig ist, dass zusätzlich zu den unterschiedlichen Entscheidungsebenen auch festgelegt wird, wie die jeweiligen Entscheidungsfindungsprozesse ablaufen. Wer wird gehört? Wer nimmt aktiv an der Entscheidungsfindung teil? Wer hat ein Vetorecht? Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass, wenn eine Entscheidungskompetenz übertragen wird, auch die mit ihr verbundene Budgethoheit und Zeichnungskompetenz übertragen wird.

In agil arbeitenden Organisationen wird in der Regel mehr Entscheidungskompetenz auf Teams übertragen. Damit diese ihre neu gewonnene Kompetenz und auch die damit verbundene Verantwortung souverän ausfüllen können, empfiehlt es sich, die in den Teams ablaufenden Entscheidungsfindungsprozesse weiterzuentwickeln. Ein Gruppen-Entscheidungsverfahren, das sich in der Praxis bewährt hat, ist der Konsent-Entscheid. Dieses Verfahren entstammt der Soziokratie. Im Gegensatz zum Konsens, dem kleinsten gemeinsamen Nenner, definiert sich der „Konsent“ als Abwesenheit von schwerwiegenden (das gemeinsame Ziel gefährdenden) Einwänden.

Mehr zum Konsent und den dafür nötigen Kompetenzen haben wir in unserem Artikel „Entscheidungskompetenz ins Team geben“ geschrieben.

Gerade in einer Organisation, in der agil arbeitende Bereiche auf hierarchisch geführte Bereiche treffen, wird dieses unterschiedliche Verständnis von Entscheidungsprozessen zur Herausforderung in gemeinsamen Projekten. Deshalb bedarf es absoluter Management Attention und bei Bedarf auch externer Moderation. Wichtig ist, die Bedürfnisse aller Beteiligten wahrzunehmen und im Sinne einer konstruktiven und zeitlich angemessenen Entscheidungsfindung in Einklang zu bringen.

Ist das nicht sauber geklärt, wird es auf Projektebene zu Verzögerung kommen, da Entscheidungsbefugnisse der Mitglieder agil arbeitender Teams angezweifelt werden und sich Projektmitglieder aus hierarchisch geführten Organisationsbereichen hinter fehlender Entscheidungsbefugnis verstecken können. Daraus resultiert das Risiko, dass noch mehr Entscheidungen als bisher auf oberste Managementebene eskaliert werden und der „bottle neck“ in Bezug auf Entscheidungen weiter wächst. Die Projekt- und Entwicklungsgeschwindigkeit nimmt ab statt zu. Die agile Philosophie wird in durch fehlende Erfolge in Frage gestellt und wieder verworfen werden.

Agile Transformation

Transformationsprozess: Phase 2 – Wollen

Jede Form der Veränderung, auch eine Transformation, hat nur dann eine Chance auf Erfolg, wenn die an ihr Beteiligten diese Veränderung auch wollen. Denn nur dann sind sie bereit, entsprechende Lern- und Entwicklungsprozesse zu durchlaufen und sich neue Kompetenzen anzueignen. Dieses Wollen, also die intrinsische Motivation, wird dann erreicht, wenn die Mitarbeitenden einen Sinn und einen persönlichen Nutzen in der agilen Arbeitsweise sehen und ein Gefühl der Sicherheit spüren, das den Schritt aus der Komfortzone möglich macht. Das erfordert Zeit, Raum und Anerkennung auch kleiner Erfolge und Fortschritte.

Purpose definieren

Einen Sinn in der agilen Arbeitsweise sehen die Mitarbeitenden dann, wenn sie das Warum verstanden haben. Warum verändern wir unsere Art zu arbeiten? Welcher Nutzen liegt für uns im agilen Arbeiten?

Die Akzeptanz des Warum und idealerweise die Begeisterung dafür ist der Treiber für das Entwickeln und Leben des Wie, also der Agilität. Das Warum sollte immer beantwortet sein, bevor ein Unternehmen oder ein Unternehmensbereich eine agile Transformation beginnt. Agilität ist kein Selbstzweck, sondern sie ist eine Haltung, die es ermöglicht, bestimmte Herausforderungen zu meistern bzw. angestrebte Ziele schneller und / oder besser zu erreichen. Welche Herausforderungen und Ziele das sind, hängt vom jeweiligen Unternehmen ab.

Teilziele definieren und Fortschritte anerkennen

Um Fortschritte anzuerkennen, müssen sie wahrnehmbar sein. Das geht leichter, wenn der Transformationsprozess in kleine, wahrnehmbare Teilziele untergliedert wird. Das sollte auf den drei Ebenen Strukturen & Prozesse, Kompetenzen und Kultur geschehen. Einige der dahinter liegenden Fragen, die helfen, Fortschritte wahrzunehmen, lauten:

Strukturen & Prozesse:

  • Woran nehmen wir wahr, dass unsere Prozesse und Strukturen agiler geworden sind?
  • Was geht schneller?
  • Wo steigt die (Kunden-)zufriedenheit?
  • Welche Entscheidungsprozesse wurden beschleunigt?
  • Welchen Entscheidungen haben an Qualität gewonnen?
  • In welchen Bereichen entsteht weniger Blindleistung?
  • Welchen Nutzen ziehen wir aus den regelmäßigen Retrospektiven?

Kompetenzen:

  • Woran nehmen wir wahr, dass wir uns weiterentwickelt haben?
  • In welchen Bereichen haben wir unsere Komfortzone verlassen? Mit welchem Ergebnis?
  • Welche neuen Kompetenzen haben wir dazu gewonnen?
  • Welche Methoden und Instrumente haben wir dazugelernt?
  • In welchen Bereichen trauen wir uns mehr zu?
  • Welche Kompetenzen konnten wir stärker einsetzen als zuvor?
  • Welche Problemstellungen ließen sich einfacher / anders lösen als bisher?

Kultur

  • Wie hat sich das Vertrauen in uns als Team entwickelt?
  • Inwieweit hat sich das agile Mindset weiter verankert?
  • Welche Schlüsselpersonen aus anderen Bereichen konnten wir bereits für die neue Art zu arbeiten gewinnen?
  • Wie hat sich die Zusammenarbeit mit unseren (internen) Kunden verbessert?
  • Welche Fortschritte gibt es in der Projektarbeit?
  • Wie haben sich Team- und / oder Projektklima verbessert?
  • Wie hat sich unsere Feedback-Kultur weiterentwickelt?

Feedback als zentrales Element des Entwicklungsprozesses

Feedback, also das Zurückmelden des Wahrgenommenen, ist ein zentrales Element in Entwicklungsprozessen. Damit Feedback wertschätzend aufgenommen und als Chance für die Weiterentwicklung gesehen werden kann, sind verschiedene Faktoren entscheidend. Dazu zählen:

Der kulturelle Rahmen des Unternehmens / Bereichs und Teams

  • Feedbackkultur: Wie konstruktiv und etabliert war bisher die Feedback-Kultur? Wie aufrichtig ist die Wertschätzung von Personen und Leistungen?
  • Vertrauenskultur: Wie stark war und ist sie?
  • Fehlertoleranzkultur: Inwieweit sind Fehler bereits vor der agilen Transformation als Entwicklungsmöglichkeiten gesehen worden? Inwieweit wird der Qualitätsanspruch an die Produkte als unabhängig von der Fehlertoleranzkultur in Bezug auf Lern- und Entwicklungsprozesse betrachtet? Wie etabliert ist es, aus Fehlern zu lernen? Wie häufig wird Feedback gegeben? Wie etabliert ist es, Feedback zu erbitten?

Persönliche Reife der Einzelnen

  • Kritikfähigkeit: Wie gut können Einzelne Person und Sache trennen? Können sie Kritik, die auf der Sachebene erfolgt, auf dieser annehmen, oder empfinden sie Kritik als Ablehnung und bringen sie damit auf die Beziehungsebene?
  • Selbstwert & Selbstvertrauen aller Beteiligten: In der Regel ist die Kritikfähigkeit bei Menschen mit hohem Selbstwert und -vertrauen ausgeprägter. Sie können meistens zwischen Person und Sache trennen und Kritik wertfrei aufnehmen und für sich das rausziehen, was ihnen bei ihrer Weiterentwicklung und der Weiterentwicklung der Sache hilft.

Kompetenz, konstruktives Feedback zu geben

  • Nachvollziehbarkeit des Feedbacks: Wie konkret ist es? Inwieweit passt es zu Vereinbartem, wie z.B. zu definierten Zielen und erwartetem Verhalten?
  • Haltung des Feedbackgebers: Wird das Feedback auf Sachebene erteilt mit dem Ziel der Wertschätzung oder der Unterstützung der Weiterentwicklung? Oder wird Feedback instrumentalisiert, um den Feedbackempfänger zu demütigen?

Agile Transformation

Transformationsprozess: Phase 3 – Kennen

In dieser Phase des Transformationsprozesses geht es um Wissensvermittlung. Es geht darum, agile Instrumente und Methoden zu verstehen, wie z.B. Scrum oder Design Thinking. Damit das Kennen zum Können erwachsen kann, ist es wichtig, dass die Wissensvermittlung bestmöglich anhand konkreter Frage- und Themenstellung aus dem Arbeits- und Projektalltag erfolgt.

Es geht in dieser dritten Phase der Transformation auch darum, Schlüsselpersonen nicht agil arbeitender Bereiche für agile Elemente z.B. in der Projektarbeit zu gewinnen.

Damit das gelingt, ist Folgendes zu beachten:

  • weder mit der Agilität prahlen noch mit ihr drohen,
  • keine Unsicherheit mit der Methode schaffen,
  • sondern über Ziele, angestrebte Ergebnisse oder zu erledigende Aufgaben sprechen, also das Was, Warum und Wohin in den Vordergrund stellen.

Agile Transformation

Transformationsprozess: Phase 4 und 5 – Können und Beherrschen

Diese Phasen sind geprägt vom Ausprobieren und Anwenden des Neuen – gut begleitet von konstruktivem und kontinuierlichem Feedback und Erfahrungsaustausch. Dieses Ausprobieren braucht Zeit und es erfordert zwingend eine Fehlertoleranzkultur. Ist diese im Unternehmen nicht etabliert, findet kein Ausprobieren statt.

Agile Transformation

Transformationsprozess: Phase 6 – Weiterentwickeln

Das Weiterentwickeln passiert in dem Moment, in dem verschiedene Methoden, Instrumente oder Elemente kreativ vernetzt und so adaptiert werden, dass sie zur jeweiligen Situation, der individuellen Zielsetzung, dem gegebenen Zeitrahmen, dem Budget und den Beteiligten passen. Das Vorgehen bekommt etwas Spielerisches. Neues entsteht. Best Practices werden geboren. Der kulturelle Wandel ist vollzogen.

Agile Transformation

Transformationsprozess: Weitere Erfolgsfaktoren

Zentraler Erfolgsfaktor einer agilen Transformation ist das Anerkennen, das es eine Transformation ist. Mit dieser Anerkennung geht das Verständnis einher, dass dieser Prozess Zeit, Management Attention, Begleitung und Budget braucht.

Quick wins erzielen und Fortschritte anerkennen

Wie in jedem Veränderungsprozess, läuft auch der agile Transformationsprozess nicht linear ab. Vielmehr wird an den verschiedensten Punkten im Prozess das Wollen erneut herausgefordert bzw. hinterfragt werden. Wollen wir das noch? Macht das immer noch Sinn, was wir da tun? Bringt uns das irgendwie voran? Umso wichtiger ist es, Fortschritte und Erfolge, auch wenn es nur kleine sind, anzuerkennen. Maßnahmen, die die agile Transformation flankieren, sollten so angelegt werden, dass schnell Erfolge sichtbar, also „quick wins“ erzielt werden.

Regelmäßige Retrospektiven durchführen und agile Instrumente nutzen

Wir empfehlen, das „Projekt“ agile Transformation mit einer agilen Haltung zu führen und durch agile Instrumenten zu begleiten.

  • Warum kein Backlog führen für die Dinge, die entlang der 6 Phasen zu tun sind?
  • Warum die Verantwortlichkeit darüber, was wann erarbeitet bzw. getan werden soll, nicht bei den wesentlichen Stakeholdern der Transformation lassen?
  • Warum nicht in definiertem Zeitrahmen Retrospektiven durchführen, Erfolge feiern und Lessons Learned zur Weiterentwicklung, auch zur Weiterentwicklung des Transformationsprozesses nutzen?

Je mehr Agilität im Transformation gelebt und vorgelebt wird, desto schneller verliert sich die Angst vor dem Neuen.

Zusammenfassung

Agile Transformation zum Erfolg führen

Agilität ist eine Haltung. Wie jede Haltungsänderung, ist auch die Veränderung des Denken und Handelns hin zu mehr Agilität ein Entwicklungsprozess. Damit diese Entwicklung erfolgreich ist, muss sie den sechs Phasen folgen:

  • Dürfen
  • Wollen
  • Kennen
  • Können
  • Beherrschen
  • Weiterentwickeln

Und sie muss auf drei Ebenen stattfinden: Strukturen & Prozesse, Kompetenzen und Kultur.

Bevor eine agile Transformation begonnen wird, muss klar sein, warum dieser Prozess notwendig ist. Was soll mit dieser veränderten Haltung und Arbeitsweise erreicht werden? Welche Nutzenpotenziale bietet diese Arbeitsweise bzw. welche Risiken werden vermieden, wenn eine solche Veränderung hin zur Agilität erfolgreich verläuft? Und es müssen – wie bei jeder großen Veränderung – ausreichend Management Attention und Ressourcen vorhanden sein, um diese Veränderung zum Erfolg zu führen.

Schlusswort

Wir werden in Transformationen, die wir als Team begleiten, oft gefragt, ob jetzt ausschließlich agile Methoden genutzt werden müssen und Vorgehensweisen, die bisher erfolgreich waren, nicht mehr zum Einsatz kommen dürfen. Daher erlaube ich mir an dieser Stelle ein Schlusswort:

Agil zu sein, heißt nicht, agile Instrumente dogmatisch anzuwenden. Es heißt auch nicht, jede Entscheidung basisdemokratisch herbeizuführen. Eine agile Unternehmenskultur ist eine Kultur, in der die Menschen, Strukturen und Prozesse, die diese Kultur prägen, die Fähigkeit haben, schnell auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Welche Methoden, Prozesse und Instrumente in der jeweiligen Situation zielführend sind, entscheiden die Beteiligten situativ.

Haben Sie beim Lesen des Beitrags Impulse erhalten?

Coaching buchen Whiteboard

Whiteboard Auswahl

Zum Whiteboard
Jetzt anrufen