Management Summary
Mitarbeiter und Führungskräfte sind mit ihrer Expertise die wichtigste Ressource eines Unternehmens. Diese Ressource zu bilanzieren, wird schon länger diskutiert. Eda Wolff und Svenja Stöveken, Beraterinnen der Unternehmensberatung Horváth, skizzieren Vor- und Nachteile dieses Vorgehens und gehen auf Stolpersteine ein:
- Wie lässt sich Humankapital eindeutig messen?
- Was bringt es Mitarbeitenden, wenn sie als Vermögenswert in der Bilanz auftauchen?
- Wie bilanziert man strategische Kooperationen?
Außerdem laden Sie ein, Know-how im Unternehmen zu mehren:
- Wie lässt sich Know-how- und Wissenstransfer strategisch und langfristig gestalten?
- Wie kann strategische Personalplanung aussehen?
- Wie können strategische Kooperationen zur Selbstverständlichkeit werden und das Ökosystem von Unternehmen erweitern?
Ihr Fazit: Menschzentriert führen und Mitarbeiter wertschätzen statt trockene Zahlen bilanzieren.
Humankapital – die wichtigste Ressource unserer Wissensgesellschaft
Sabine: Alle Unternehmen haben erkannt, dass die Menschen in ihrer Organisation mit ihrer Expertise die wichtigste Ressource darstellen. Ist es da nicht an der Zeit, der Kostenposition „Personal“ aus der GuV auch einen Vermögenswert in der Bilanz entgegenzusetzen? Oder um die Frage noch pointierter stellen: Warum wirken sich Investitionen in Maschinen und Anlagen nur in Höhe ihrer Abschreibung in der GuV aus? Weiterbildungen laufen aber in voller Höhe in die Kosten und schmälern damit auch in voller Höhe den Jahresüberschuss.
Svenja: Das sind absolut berechtigte Gedanken. In einer Produktionsgesellschaft ist die Ermittlung des Vermögens eines Unternehmens recht leicht, in dem – vereinfacht gesagt – die Maschinen, Anlagen und Immobilien betrachtet werden.
Mittlerweile sind wir aber in einer Wissensgesellschaft und merken immer stärker, dass der Hauptwert eines Unternehmens aus dem Humankapital, also der Expertise und dem Ideenreichtum der Mitarbeitenden und Führungskräften besteht, die sie allein und im Zusammenspiel in das Unternehmen einbringen.
Deshalb wird die Frage der Visualisierung dieses Wertes auch in Form einer Bilanzierung seit einigen Jahren immer wieder diskutiert. Eine Lösung wurde bisher nicht gefunden. Ist die Bilanzierung des Humankapital aus eurer Sicht ein notwendiger Schritt in unserer Wissensgesellschaft?
Bilanzierung von Humankapital hat Vor- und Nachteile
Svenja: Schauen wir uns Vor- und Nachteile einer Bilanzierung an. Würden wir Weiterbildungsinvestitionen beispielsweise bilanzieren, würde es vielleicht Unternehmen ermutigen, mehr in die Weiterbildung zu investieren, da dies in der Bilanz als Vermögenswert ausgewiesen wird und nicht ausschließlich als Kostenposition in der GuV auftaucht. Vielleicht würden auch Weiterbildungen nicht zuerst dem Rotstift zum Opfer fallen, wenn Unternehmen nach Kosteneinsparungen suchen. Doch Weiterbildung spiegelt das Humankapital eines Unternehmens nicht komplett wider. Die reine Investitionssumme sagt beispielsweise nichts darüber aus, wie zielführend die Weiterbildung in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens ist. Gleichzeitig könnte es Unternehmen ermutigen, über Weiterbildungsinvestitionen den Bilanzwert künstlich aufzublähen.
Es bleibt also die Frage: Wie ließe sich Humankapital eindeutig messen?
Diese Frage werden wir hier und heute nicht abschließend beantworten können.
Daher würde ich gern die Nutzenfrage noch mal intensiver beleuchten. „Was bringt es Mitarbeitenden, wenn sie als Vermögenswert in der Bilanz auftauchen. Ist es nicht viel wichtiger, Mitarbeitende ehrlich wertzuschätzen, zu fördern, zu entwickeln und ihnen Gestaltungsspielraum zu geben?“
Eda: Bevor ich auf diese Frage eingehe, möchte ich noch etwas zur Bilanz sagen. Was bisher transparent und auch in Geschäftsberichten nachzulesen ist, sind die R&D-Investitionen, also die Investitionen in Forschung & Entwicklung. Sie zeigen klar auf, wie viel ein Unternehmen in seine Zukunft und die Weiterentwicklung von Produkten und Technologien investiert.
Doch nun zurück zur Nutzenfrage: „Was wäre unter dem Strich für die Mitarbeitenden der Mehrwert, wenn ihr Humankapital in der Bilanz aufgeführt wird?“
Natürlich ist es eine starke Botschaft, wenn Unternehmen auch durch konkrete Zahlen belegen können, wie viel sie in die Förderung von Mitarbeitenden investieren. Das können sie aber heute auch schon – egal ob diese Investitionen in der Bilanz oder der GuV stehen. Doch beobachten wir leider auch, dass diese Investitionen nicht zwingend zu mehr Mitarbeiterzufriedenheit führen. Kernelemente für eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit sind und bleiben eine vertrauensvolle und wertschätzende Führung, Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume sowie die Möglichkeit, sich zu entwickeln.
Svenja: Dem stimme ich zu. Ich würde noch gern einen weiteren Gedanken in unser Gespräch einbringen. In manchen Unternehmen hängt der Unternehmenserfolg und auch die Equity Story an einigen Schlüssel-Knowhow-Trägern. Mal angenommen, wir würden dieses Know-how bilanzieren, was passiert dann mit dem Bilanzwert eines Unternehmens, wenn diese Know-how-Träger ausscheiden? Und, entspräche die rechnerische Schmälerung des Bilanzwertes der tatsächlichen Schmälerung?
Sabine: Das ist ein interessanter Gedanke. Vielleicht würde aber die Bilanzierung dieses Know-hows Unternehmen eher dazu bringen, viel strategischer ihre Personal- und Nachfolgeplanung anzugehen, als sie es bisher tun.
Strategische Personalplanung und bewusste Führung als zentrales Element, Wissenstransfer zwischen den Generationen zu fördern
Eda: Strategische Personalplanung ist mein Stichwort. Wir erleben, dass immer mehr Unternehmen sich genau dazu Gedanken machen und diesen Prozess der strategischen Personalplanung und der damit einhergehenden Nachfolgeplanung mit unserer Hilfe weiterentwickeln und professionalisieren. Es kommt sogar vereinzelt vor, dass die Personalstrategie auch integrativer Teil der Unternehmensstrategie wird.
Damit das gelingt, muss im ersten Schritt Transparenz geschaffen werden. Transparenz, die viele Unternehmen bisher nicht haben. Wer kommt? Wer geht? Welche Kompetenzen hat das Unternehmen? Wie entwickeln sich bestimmte Rollen und Aufgabenbereiche weiter? Welche Kompetenzen braucht das Unternehmen zukünftig, um diese Rollen umfassend auszufüllen? Welche Rollen müssen nachbesetzt werden und in welcher Form?
Diese Fragen beantworten wir mit unseren Kundenunternehmen gemeinsam. Liegt Klarheit darüber vor, welche Kompetenzen durch das Ausscheiden von Mitarbeitenden verloren gehen können, entwickeln wir Ansätze, um das zu vermeiden bzw. zu verringern. Und da sind wir bei dem Thema „Wissensmanagement“ bzw. „Wissenstransfer.
Wie schafft es ein Unternehmen, Kopf-Know-how zu reduzieren? Wie gelingt es, dass Menschen ihr Wissen und ihre Expertise gern teilen und an andere weitergeben? Und bei der Beantwortung dieser Fragen stoßen wir ganz schnell auf zwei zentrale Aspekte: Wofür werden Menschen in einer Organisation wertgeschätzt? Und wie gut gelingt das generationenübergreifende Miteinander? Diese Fragen müssen in den Fokus von Führungskräften rücken.
Professionelles Off-Boarding: Ein Instrument, um Humankapital in der Firma zu halten
Darüber hinaus lässt sich natürlich der Off-Boarding-Prozess professionalisieren. „Was, liebe erfahrene Mitarbeitende, die ihr bald das Unternehmen verlasst, möchtet ihr zwingend den anderen mitgeben? Was sind eure lessons learned?“ Solche einen Austausch können Unternehmen planen und aktiv moderieren, damit zentrale Erfahrungen, Expertise und Erkenntnisse im Unternehmen bleiben.
Svenja: Daran würde ich gern anknüpfen. Meiner Meinung nach müsste nicht nur der Wissenstransfer von heute gemanagt werden. Vielmehr sollte auch die Frage nach dem generationenübergreifenden Austausch zur aktiven Zeit der älteren Mitarbeitenden und nicht erst kurz vor deren Ausscheiden noch stärker in den Mittelpunkt rücken:
Wie gut gelingt es Teams, die unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven der verschiedenen Generationen zu schätzen und als Bereicherung zu empfinden? Wie können Führungskräfte diesen Austausch im Arbeitsleben aktiv fördern, so dass die wertvollen Impulse der erfahrenen Generation zusammen mit den „jungen Wilden“ Früchte tragen?“
Ökosysteme – ein unternehmerisches Schlüsselelement in der Wissensgesellschaft
Sabine: Das sind interessante Fragen und definitiv wichtig für die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Ich möchte an dieser Stelle noch mal auf den Aspekt der Strategischen Personalplanung zurückkommen. Inwieweit wird denn in dieser Planung auch die Frage des Make oder Buy betrachtet? Also die Frage, welche Kompetenzen Unternehmen selbst aufbauen und welche Kompetenzen sie durch strategische Kooperationen abdecken?
Svenja: Du sprichst das Ökosystem eines Unternehmens an. Das ist ein Schlüsselelement der nachhaltigen Unternehmensführung. Unternehmen sind mehr denn je gefordert, Partnerschaften aufzubauen und vertrauensvoll zu pflegen, um schnell auf sich verändernde Markt-, Technologie- und Knowhow-Anforderungen reagieren zu können. In der Regel sind mehrere Partner Teil solcher Ökosysteme und schaffen gemeinsam etwas, was einen echten USP erzeugt.
Und um an dieser Stelle auf die Ausgangsthematik, nämlich die der Bilanzierung zurückzukommen, stellt sich die Frage: „Wie würde ein Unternehmen das Know-how von Menschen bilanzieren, die nicht auf seiner Gehaltsliste stehen, die aber gemeinsam mit einem Team aus dem eigenen Unternehmen und anderen Partnern, Mehrwert schaffen, die seine Auftragsbücher füllen und zur Steigerung des Unternehmenswertes beitragen?“
Svenja: Und ein weiterer Aspekt, den wir bisher noch gar nicht betrachtet haben und der heute auch den Rahmen sprengen würde, ist der Aspekt der KI und die Frage: „Was passiert mit dem Humankapital, wenn die KI immer mehr Raum einnimmt und das Zusammenspiel von menschlichen Know-how-Trägern und KI immer enger und damit schwerer abgrenzbar wird?“
Wertschätzende Führung und Talentmanagement wichtiger als trockene Bilanzkennzahlen
Zusammenfassend würde ich für mich sagen, Humankapital zu bilanzieren ist und bleibt komplex und ich wage die These, dass es nicht zwingend etwas über den Wert aussagen würde, den Mitarbeitende und Führungskräfte für ein Unternehmen haben.
Ich möchte diese These mit einem Beispiel eines meiner Kundenunternehmen unterstreichen. Ihm ist es gelungen, Talent Management umfassender anzulegen, Mitgestaltung und Innovation erfolgreich zu verknüpfen und konkreten Mehrwert zu erschaffen.
Was haben sie gemacht? Sie haben die Frage gestellt „Was sind zukunftsträchtige Wachstumsideen für unser Unternehmen?“ und dazu Ideenwettbewerbe ins Leben gerufen. Die eingehenden Ideen wurden bewertet und jetzt kommt das Entscheidende:
Die besten Ideen wurden nicht nur prämiert, sondern die Mitarbeitenden, die die Top 2 Ideen eingebracht haben, wurden für einen definierten Zeitraum freigestellt, haben Budget und ein Team bekommen und durften ihre beiden Ideen zur Marktreife entwickeln. Als die Marktreife da war, wurden diese Bereiche ausgegründet und die Ideengeber haben Anteile an diesen Start-ups bekommen und durften sie weiterführen.
GOOD PRACTICE TALENTMANAGEMENT & INNOVATION
UNTERNEHMENSWEITER IDEENWETTBEWERB „Was sind zukunftsträchtige Wachstumsideen für unser Unternehmen?“
- Start des Ideenwettbewerbs
- Sammlung und Bewertung der eingehenden Ideen
- Prämierung der TOP 2 Ideen
- Freistellung dieser Ideengeber für definierten Zeitraum inkl. Team und Budget; Ziel: Entwicklung der Ideen zur Marktreife
- Ausgründung von Start-ups unter Beteiligung der Ideengeber
Wenn Unternehmen so vorgehen, erzielen sie ein enormes Engagement und Comittment in der gesamten Belegschaft und erreichen eine Strahlkraft über die Unternehmensgrenzen hinaus. Das hat eine viel größere als eine trockene Zahl in der Bilanz.
Eda: Definitiv, denn – unabhängig von der Frage der Bilanzierung – entscheidet über die Art und Weise wie Mitarbeiter geschätzt, gefördert und entwickelt werden, das Top-Management eines Unternehmens. Das heißt, das C-Level muss verstehen, dass ihre Performance und die des Unternehmens nur stimmt, wenn die Mitarbeitenden die richtigen Kompetenzen haben und mit Kopf und Herz bei der Sache sind. Dieses Verständnis zu schaffen und dafür zu sorgen, dass Arbeitgebermarketing nicht eine leere Fassade ist, sondern Unternehmenskultur und Führung den Rahmen dafür schaffen, dass alle Mitglieder der Organisation ihr Bestes geben wollen und können, ist auch Teil unserer Beratungsleistung.
Natürlich hilft es, wenn ich diese Diskussion auf C-Level-Ebene auch KPI gestützt führen kann. Aber ich zweifle immer noch daran, ob es dafür eine Bilanzierung des Humankapitals braucht oder ob nicht bestehende, klar messbare Kennzahlen wie Mitarbeiterzufriedenheit, Krankheits- und Fluktuationsrate dafür ausreichen.
Svenja: Das sehe ich ähnlich. Wenn Mitarbeitende zufrieden sind, sind sie wesentlich loyaler, kreativer und produktiver. Und das lässt sich auch mit Zahlen belegen.
In Unternehmen, die sehr im Bereich der Nachhaltigkeit engagiert sind, ist die Produktivität der Mitarbeitenden um 16% höher, die Loyalität um 38% höher und die Fluktuation um 50% geringer als bei Unternehmen, die weniger nachhaltig sind. (Quelle: Horváth Research)
Und um noch eine Zahl nachzuschieben. Wir als Horváth haben bei 430 CXOs weltweit eine CxO Priorities Study 2023 durchgeführt. Fragestellung dieser Studie war: „Was sind die aktuellen Top Themen auf der Agenda der CxOs?“. Ein Ergebnis dieser Umfrage ist, dass das Thema „People“ als Thema Nummer 1 auf der Agenda steht. Fachkräftemangel, Nachfolgeplanung, War for Talents… Den C-Level-Führungskräften ist absolut bewusst, dass die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, mehr denn je von den Mitarbeitenden und Führungskräften des Unternehmens abhängt. Sie machen ein Unternehmen aus. Sie bringen Ideen ein. Sie entwickeln Geschäftsmodelle weiter. Natürlich ist das keine neue Erkenntnis. Aber, dass das Thema in Wichtigkeit und Dringlichkeit allen anderen prioritären Themen wie beispielsweise Kostenmanagement, Energieumstellung, Cyber Security überholt hat, unterstreicht noch mal signifikant die Wichtigkeit von Human Capital als unternehmerischen Erfolgsfaktor.
Sabine: Ladies, ich danke euch für diesen spannenden Austausch. Ich nehme aus unserer Diskussion mit, dass sich in der Wertschätzung und Entwicklung der wertvollsten Ressource „Mensch“ einiges getan hat. Schlüssel dafür ist und bleibt die Führung – egal wie sich die Frage nach der Bilanzierung von Humankapital entwickelt.
Zu den Personen:
SVENJA STÖVEKEN
Svenja Stöveken leitet bei Horváth den Bereich Strategy. Sie berät Unternehmen in allen strategischen Fragestellungen und begleitet Ihre Kunden vom Familienunternehmen bis zum internationalen DAX-Konzern in ihrer Transformation. Sie steht dabei besonders für Fragestellungen rund um die Themen Wachstumsstrategien & Geschäftsmodellgestaltung, Nachhaltigkeit und Markenpositionierung.
EDA WOLFF
Eda Wolff ist Unternehmensberaterin bei Horváth. Branchenübergreifend begleitet sie verschiedene DAX-Unternehmen in ihrer Transformation.
Sie ist verantwortlich für die People Fragestellungen rund um die Themen HR und Change, Kulturentwicklung und Befähigungsprogramme von Führungskräften und Mitarbeitern.
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