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Impulse Gesellschaft

Von der Genderdiskussion zu mehr Gleichberechtigung – ein Gedankenspiel

"Wieso reichen ein paar Wochen Krise – und wir sind zurück in der Männerwelt? Der Weg zur Gleichberechtigung scheint länger als gedacht.", so formuliert Julia Jaekel, CEO von Gruner+Jahr, ihre Gedanken für das Magazin "Die ZEIT." Denn: Es sind vor allem die Frauen, die sich darum kümmern, dass die Kinder beim Home Schooling mitkommen und der Alltag zuhause weitestgehend so weiterläuft, wie bisher. Der Artikel von Julia Jaekel hat mich nachdenklich gemacht und einige Fragen aufgeworfen, die ich mit Ihnen teilen möchte.

Genderemanzipation: Mann und Frau als Sieger - Organisationsentwicklung | Executive Coaching
Grafik | happy people on Shutterstock

Das Warum dieses Artikels

Ich bin erfolgreiche Unternehmerin und Mutter. Und auch ich habe in den letzten Wochen dafür gesorgt, dass das Home Schooling trotz aller Unwegbarkeiten funktioniert hat und noch immer funktioniert – parallel zu meinen anspruchsvollen Projekten und der Führung des Netzwerkes, für das ich verantwortlich bin. Das habe ich gern gemacht. Kontinuierlich im Blick, was ich und was der Vater leisten kann, damit das System gut funktioniert. Sicherlich haben sich mehr Mütter in den letzten Wochen kontinuierlich um die Kinder gekümmert als die Väter. Wir Frauen haben es gerockt! Darauf können wir stolz sein. Das möchte ich an dieser Stelle sagen – sozusagen als Auftakt zu Mehr.

Anstoßen möchte ich eine Diskussion, die uns rausführt aus der Genderfrage, raus aus dem Verteilungs- und Machtkampf um Karrieren und Betreuungszeiten. Ich möchte die Diskussion weiterführen ausgehend von zwei elementaren Gedanken:

  • Was ist Erfolg?
  • Wie zahlt eine Neudefinition von „Erfolg“ auf mehr Gleichstellung von Frau und Mann bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein?

Beginnen wir mit der ersten Frage.

Was ist Erfolg?

Ich bin mir sicher, jeder von Ihnen würde diese Frage anders beantworten. Eine Definition von Erfolg kann sein: „Erfolgreich ist, wer gesteckte Ziele erreicht.“ Ich persönlich definiere Erfolg so: „Erfolg ist, das eigene Leben selbstbestimmt zu gestalten und daran Freude zu haben.“ Diese von mir gewählte Definition beinhaltet drei Aspekte:

  • Erfolg ist nicht zwingend mit dem Beruf oder der Karriere gekoppelt.
  • Erfolg heißt nicht zwingend, viel Geld zu verdienen.
  • Selbstbestimmt das eigene Leben zu gestalten, setzt eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit voraus.

Was heißt das?

Erstens: Arbeit darf nicht länger alleiniger Mittelpunkt der Gesellschaft und zentrales Element unseres Wertesystems bleiben

Damit wir als Gesellschaft wieder gesunden und uns weiterentwickeln können, ist es wichtig, Arbeit als Mittelpunkt der Gesellschaft und zentrales Element unseres Wertesystems abzulösen.

Es ist elementar – auch, um in Sachen Gleichstellung voranzukommen – alle Bereiche als relevant, lebens- und gestaltenswert einzustufen, die es braucht, damit eine Gesellschaft funktioniert und wir in (sozialem) Frieden miteinander leben können. Die Corona-Krise hat das Wort „systemrelevant“ hervorgebracht. Kinder zu erziehen, ist systemrelevant. Das mit Zugewandtheit, Freude und Zeit zu tun, ist systemrelevant. Und, wenn Leistung mit Geld vergütet wird, ist Kinderbetreuung – egal wo sie stattfindet – zu vergüten. Und zwar so zu vergüten, dass der, der sich um die Erziehung der Kinder kümmert, eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit erreichen oder behalten kann, um (weiterhin) selbstbestimmt das eigene Leben zu gestalten.

Das bedeutet:

  • alle Erziehungszeiten sind so zu vergüten, dass eine selbstbestimmte Gestaltung des Lebens auch für den möglich bleibt, der sich um die Kindererziehung kümmert – egal ob Mann oder Frau
  • Erzieher- und Lehrerberufe sowie die Tätigkeit in Vereinen, die Kinder betreuen, ist adäquat zu vergüten. Das würde sicherlich auch dazu beitragen, die Qualität zu verbessern, weil diese Berufe und Tätigkeiten attraktiver werden.

Zweitens: Erfolg muss nicht zwingend erkämpft werden

Wir erliegen immer noch dem Trugschluss, dass ein hoher zeitlicher Einsatz bei bestimmten Dingen erforderlich ist, um am Ende durch Erfolg belohnt zu werden. Diese Denke sollten wir durch die Haltung ablösen: Qualität statt Quantität. Wenn es uns als Gesellschaft gelingt, dass Menschen selbstbestimmt das tun können, woran sie Freude haben, werden sie automatisch mit weniger Zeitaufwand qualitativ gute Ergebnisse erzielen. Dinge kommen in den Fluss und gelingen, gerade weil Leichtigkeit im Spiel ist.

Wenn es uns folglich als Gesellschaft gelingt, so viele Menschen wie möglich selbstbestimmt, also unternehmerisch handeln zu lassen und damit selbst die Prioritäten in ihrem Leben zu setzen, die ihnen wichtig sind – inhaltlich wie zeitlich – entsteht automatisch mehr Zeit, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren.

Drittens: Finanzielle Unabhängigkeit als Voraussetzung für Erfolg

Im November 2019 veröffentlichte Statista Folgendes: „Derzeit kann etwa jeder zehnte Erwachsene in Deutschland seine Rechnungen nicht mehr dauerhaft bezahlen. Zum Stichtag 1. Oktober 2019 wurde für Deutschland eine Überschuldungsquote von exakt 10 Prozent gemessen. Damit sind über 6,9 Millionen Bürger über 18 Jahre überschuldet und weisen nachhaltige Zahlungsstörungen auf.“

Werfen wir einen Blick auf eine andere Zahl vom Statistischen Bundesamt: Etwa die Hälfte der Liquidität deutscher Haushalte ist schuldenfinanziert. Damit ist keine finanzielle Unabhängigkeit gegeben und die Aufteilung der familiären Rollen kann nur bei drastischen Einbußen des Lebensstandards frei zwischen zwei Partnern definiert werden. Beide Partner sind dadurch in ihren Rollen gefangen.

Wir können davon ausgehen, dass sich diese Zahlen nach dem Lockdown der letzten Wochen deutlich verschlechtert haben und aufgrund der wirtschaftlichen Situation vieler Unternehmen weiter verschlechtern werden.

Somit ist die finanzielle Unabhängigkeit beider Partner die einzige Möglichkeit, immer wieder neu zu definieren, wer sich wann um die Erziehung der Kinder kümmert. Wenn uns als Gesellschaft an der Gleichstellung von Mann und Frau wirklich gelegen ist, müssen wir Erziehungszeiten wie eine Berufstätigkeit adäquat vergüten. Und gleichzeitig müssen wir uns davon lösen, Erfolg rein mit materiellen Errungenschaften wie Karriere, Haus, Auto, Urlauben zu verknüpfen.

Gelingt uns das nicht, dient die Arbeit auf lange Sicht nur dazu, unseren Lebensstandard zu sichern und manifestiert Rollenverteiligung, die dieser Sicherung Rechnung trägt.

Kommen wir damit zur zweiten, meiner eingangs gestellten Fragen.

Wie trägt eine Neudefinition von „Erfolg“ zum Gelingen der Gleichstellung von Frau und Mann bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei?

Eine Neudefinition von Erfolg weitet den Blick und löst die Kopplung an die berufliche Karriere auf. Damit hat der Verteilungskampf um die Rollen eine Chance zu einem gemeinsamen Miteinander zu werden. Das Handeln von Frau und Mann bzw. Vater und Mutter wird zu einem Handeln, das von einem gemeinsamen Zielbild getragen wird. Die Gleichstellung von Mann und Frau bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat eine Chance dauerhaft zu gelingen.

Elementar wird diese Neudefinition sicherlich zu dem Zeitpunkt, an dem sich Männer und Frauen dafür entscheiden, Kinder zu bekommen, also Eltern zu werden.

Fragen wie beispielsweise:

  • „Warum möchten wir Kinder? Wie stark möchten wir aktiver Teil der Entwicklung unserer Kinder sein? Wie lässt sich das mit unseren beruflichen Wünschen vereinbaren?“
  • „Was erfüllt jeden einzelnen von uns?“ Wie viel Zeit möchten wir auf diese Erfüllung verwenden?“
  • „Welche Vision haben wir für uns als Familie? Wann sind wir glücklich?“
  • „Wie artikuliert jeder von uns, wenn die gewählte Rollenverteilung für ihn nicht mehr stimmig ist?“ „Was tun wir, um dann eine Lösung zu finden, die wieder für alle passt?“

sind zu stellen und zu beantworten.

Oft wird die Aufteilung der familiären Rollen ausschließlich an die Einkommensfrage und die biologische Nähe von Mutter und Kind geknüpft. Diese zwei Kriterien sind zu wenig, wenn es darum geht, eine Lösung zu finden, die allen Bedürfnissen über den langen Zeitraum der Kindererziehung gerecht wird und die Entwicklung eines jeden in der Familie, also auch der Eltern, berücksichtigt. Das heißt, Fragen wie die oben genannten, sind immer wieder gemeinsam zu beantworten. Nur dann ist eine Entwicklung der Rollen an die sich wandelnden Bedürfnisse aller Familienangehöriger und die sich verändernden Anforderungen an das berufliche und private Leben möglich.

Was ist Erfolg in einer Gemeinschaft?

Bevor wir die Frage nach dem Erfolg einer Gemeinschaft, also auch einer Familie, beantworten, möchte ich Ihnen eine andere Frage stellen: Wie erstrebenswert ist es in unserer anspruchsvollen und schnelllebigen Zeit, dass beide Eltern Vollzeit in wenig flexiblen Zeiten arbeiten, die Kinder bis zum Abend fremd betreut sind und alle Haushaltsangelegenheiten entweder fremd organisiert oder in Hektik nach Feierabend und am Wochenende erledigt werden, um dann gestresst am Abend vor dem Fernseher zu versinken? Das Nötigste wird über Zettel oder WhatsApps organisiert und jede noch so kleine Abweichung vom erstellten Wochenplan führt zu einem minderen Chaos und maximaler Genervtheit.

Wie erstrebenswert finden Sie das? Ich für mich kann diese Frage klar beantworten. Es ist kein Szenario, das ich für erstrebenswert halte und auch keines, das ich als Erfolg einer Gemeinschaft definieren würde. Doch ist dieses Szenario realistisch für viele Familien.

Betrachten wir das familiäre System als Team. Ein Team ist dann erfolgreich, wenn die gesteckten Teamziele erreicht werden. Das impliziert, dass die einzelnen Teammitglieder den persönlichen Erfolg dem Teamerfolg unterordnen. Das gelingt, wenn alle Teammitglieder für das gemeinsame Ziel brennen und Zielkonflikte offen angesprochen und mit Blick auf das gemeinsame Ziel geklärt werden.

Fazit: Die Gleichstellung von Mann und Frau bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann gelingen

Die Gleichstellung von Mann und Frau bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann gelingen. Dazu ist es erforderlich, dass wir die Genderdiskussion weg von Verteilungs- und Machtkämpfen, Schuldzuweisungen und Quoten lenken. Es ist elementar, den Blickwinkel zu erweitern und „Erfolg“ neu zu definieren – jeder für sich und in jedem (familiären) System.

Ferner sind alle Erziehungszeiten so zu vergüten, dass eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit der „Erzieher“ sichergestellt ist und die Chance auf ein selbstbestimmtes Gestalten des eigenen Lebens sowohl als Mutter als auch als Vater möglich ist.

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