Ein Kopf aus Vektoren und Lichtern schaut ins Universum - managementberatung | coaching
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Organisationsentwicklung

Lässt sich Innovation lernen?

Sabine Walter, Head of netzwerk managementberatung | coaching, im Gespräch mit Dr. Patricie Merkert

Viele Unternehmen haben während der Pandemie gemerkt, dass wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle mit Innovation einhergehen. Der Druck, eine Innovationskultur zu etablieren nimmt zu. Bleibt die Frage, wie das geht. Im Interview mit Dr. Patricie Merkert, Head of Innovation & Technologies der E.G.O. Elektro-Gerätebau GmbH in Oberderdingen, hat Sabine Walter ihr die Frage gestellt: „Lässt sich Innovation erlernen?“ Die Antwort ist vielschichtig und beinhaltet wertvolle Tipps für Unternehmen, die innovativer werden wollen.

S.W.: Lässt sich Innovation erlernen?

Ja und nein. Ich denke, ein Unternehmen kann lernen, wie es eine Erfindung auf den Markt bringt, für die der Kunde bezahlt. Voraussetzung dafür ist, dass das Unternehmen Innovation ermöglicht, indem es die entsprechende Innovationskultur dafür hat.

Innovation braucht Risikobereitschaft.

Das impliziert, dass die Verantwortlichen im Unternehmen bereit dafür sind, gewisse Risiken einzugehen und sich in Bereiche vorzuwagen, in denen Ungewissheit, vielleicht auch sehr große Ungewissheit, besteht. Wenn diese Risikobereitschaft nicht da ist, wird ein Unternehmen mit sehr großer Wahrscheinlichkeit am Markt nicht als innovativ wahrgenommen werden; selbst dann, wenn es viele kreative Leute hat und auch technisch alles dafür tut, um Innovation voranzutreiben. Die fehlende Risikobereitschaft wird alles im Keim ersticken, was außerhalb des Gewohnten liegt.

Innovation ist das Ergebnis vieler Faktoren

S.W.: Wie viel Kreativität steckt in Innovation? Wie viel ist Prozess und Struktur?

Damit ein Unternehmen innovativ ist, müssen eine ganze Reihe von Faktoren zusammenkommen. Das haben beispielsweise Jay Rao und Joseph Weintraub untersucht und unter der Überschrift „How innovative is your company culture?“ zusammengefasst. Laut Rao und Weintraub gibt es sechs zentrale Faktoren, die eine Innovationskultur auszeichnen: „ressources, processes, success, values, behaviours und climate“. Weil die ersten drei Faktoren leichter zu messen sind, fokussieren sich Unternehmen oft auf sie. Fakt ist aber, dass Werte, Verhalten und Kultur bzw. das Innovationsklima, mindestens genauso wichtig sind.

Was will ich damit sagen?

Wenn ein Unternehmen innovativ sein möchte, braucht es eine Innovationskultur, die sich in Prozessen, Ressourcen, Werten und Fehlertoleranzkultur widerspiegelt. Es braucht eine Sicht auf die Zukunft, muss Makro- und Mikrotrends kennen. Es muss antizipieren, was seinen Markt und sein Geschäftsmodell zukünftig beeinflussen wird. Außerdem braucht ein innovatives Unternehmen ein gut gemanagtes Portfolio. Das gelingt nur, wenn es in der Lage ist, sich von Ideen oder Projekten zu verabschieden, die nicht erfolgreich sein werden. Unternehmen, die innovativ sein wollen, brauchen einen Innovationsprozess und klare Kriterien, um die Wirtschaftlichkeit von Erfindungen und Projekten regelmäßig zu messen. Und sie müssen mit dem „Außen“ zusammenarbeiten, Stichwort „open innovation“. 

Um auf Ihre Frage zurückzukommen, Kreativität ist auch ein Baustein zu mehr Innovationskraft, aber eben nur einer.

S.W.: Sie haben bereits mehrere Innovationsabteilungen geführt. Was sind klassische Lessons learned, die Sie anderen Unternehmen mitgeben würden?“

Erfolgsfaktoren für Innovation

Innovation muss Chefsache sein

Eine Sache, die ich gelernt habe, ist: Innovation muss Chefsache sein. Wenn keine top-down Unterstützung da ist, also auch keiner da ist, der bereit ist, Risiken einzugehen oder in neue Themen zu investieren, wird Innovation zur Totgeburt. Jeder noch so gute Innovationschef wird an den internen Hürden scheitern, wenn auf C-Level, kein klares commitment zur Innovation besteht.

Erfolgsfaktoren für Innovation

Für Innovation brauche ich Leute mit „growth mindset“.

Und die zweite zentrale Erkenntnis ist, ich brauche die richtigen Leute, vor allem welche, die das „growth mindset“ haben, also Chancen erkennen und nutzen. Das impliziert, dass ich mir die Profile sehr genau anschauen muss. Auch dazu gibt es Untersuchungen. Es ist gut erforscht, welche Charakteristika und Kompetenzen Leute in den unterschiedlichen Phasen des Innovationsprozesses brauchen, um erfolgreich zu sein. Und diese Leute brauche ich in meinem Team.

Und wenn ich im Team, das ich übernehme, Leute habe, bei denen ich mir gar nicht vorstellen kann, dass sie auf eine neue Idee kommen, dann macht es keinen Sinn, es mit diesen zu versuchen. Das wird nicht klappen. Zwar kann ich Methoden schulen. Aber damit diese Schulung auch Früchte trägt, muss die Persönlichkeit passen. Menschen, die das Glas immer nur halb leer sehen, werde ich nie zu guten Innovatoren machen.

Erfolgsfaktoren für Innovation

Technologie muss echte Probleme lösen

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die Technologie. Sie muss echte Probleme lösen. Wobei „lösen“ im Innovationssinne ja nicht immer heißt, dass eine technologische Lösung gefunden werden muss. Lösen kann auch heißen: „Hier macht es keinen Sinn, weiterzuarbeiten, da wir hier keinen Kundenbedarf sehen.“ Oder auch: „Wir entwickeln ein neues Geschäftsmodell mit „alter“ Technologie.“. 

Häufig arbeiten Unternehmen anders. Sie haben eine bestimmte technologische Lösung, diese unter Umständen auch schon patentiert, und diese Lösung versuchen sie mit aller Gewalt in den Markt zu drücken. Erst im zweiten Schritt überlegen sie, welches Problem, sich mit dieser Technologie lösen lässt. Das ist der falsche Weg. Ich muss erst das Problem verstehen und mir dann überlegen, wie sich das lösen lässt. Denn wenn mir das gelingt, ist die Chance deutlich höher, dass jemanden für meine Lösung bezahlt. Aber um das Problem zu verstehen, muss ich rausgehen und schauen, was auf dem Markt passiert. Das Problem verstehe ich nicht, in dem ich in meinem Büro sitzen bleibe.

S.W. Sie sagen: „Ich muss das Ohr am Kunden haben“. Jetzt gibt es dieses bekannte Zitat von Henry Ford: „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt schnellere Pferde.“ Was braucht es denn, damit Unternehmen nicht 1:1 das umsetzen, was der Kunde will, sondern weiterdenken?

Es geht darum „unbiased“ zu beobachten, also das wahrzunehmen, was nicht offensichtlich ist und explizit ausgesprochen wird. Wenn ich beobachte, muss ich abstrahieren und verknüpfen können. Wenn ich mit einer technologischen Lösung im Kopf beobachte, wird meine Wahrnehmung sehr stark eingeschränkt werden. Ich sehe nur Probleme, die zu meiner Lösung im Kopf passen. Damit entsteht kaum eine echte Innovation. Deshalb empfiehlt es sich, Instrumente und Methoden zu nutzen, die mir helfen, sehr offen zu fragen und zu beobachten, wie beispielsweise mit Design Thinking.

Hätte Apple vor Jahren seinen Kunden die Frage gestellt: „Braucht ihr einen Computer im Mobiltelefon?“, hätten wahrscheinlich die meisten gesagt: „Nein, brauchen wir nicht. Wir haben einen Computer zu Hause. Und der ist verdammt schwer.“ Aber war zu dieser Zeit schon ein Bedürfnis da, bestimmte Dinge unabhängig von Zeit und Ort erledigen zu können? Ja, war es. Und dieses Bedürfnis hat das Smartphone erfüllt. Mittlerweile ist es aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken.

Erfolgsfaktoren für Innovation

Regional für regional

Eine Sache, die vor allem global agierende Unternehmen verinnerlichen müssen, ist, dass europäische Ingenieurskunst nicht für jede Region geeignet ist. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass ich aus Europa heraus für Asien innoviere, ist recht gering. Es gilt also das Motto: regional für regional.

Erfolgsfaktoren für Innovation

Teste, teste, teste … hol‘ dir das Feedback vom Markt!

Auch, wenn ich diesen Aspekt vorhin schon angerissen habe, möchte ich es an dieser Stelle noch mal hervorheben: Damit Unternehmen nicht ewig versuchen, die „perfekte Maximallösung“ zu entwickeln und dann erstaunt sind, dass keine Kunde dafür bezahlen will, ist es wichtig, den großen Traum in kleinen Schritten zu realisieren und entlang des Innovationsprozesses immer wieder zu testen. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass ein Test reicht. Nur weil man einmal eine positive Rückmeldung aus dem Markt bekommen hat, heißt das noch lange nicht, dass der restliche Weg bis zur Markteinführung richtig sein muss. 

Daher mein Appell: Teste, teste, teste. Hol‘ dir das Feedback vom Markt. Bau den Innovationsprozess nicht auf Meinungen und Bauchgefühl auf, sondern hol‘ dir Fakten.

Erfolgsfaktoren für Innovation

Mach es nicht allein!

In der Regel ist ja der Randbereich eines Unternehmens das Feld, in dem viel Innovation möglich sein könnte. Doch in den wenigsten Fällen hat ein Unternehmen selbst die Kompetenz, diesen Randbereich zu erschließen. Das heißt, es muss kooperieren, wenn es innovieren will. Und die Ideen, die von diesen Kooperationspartnern kommen, muss ich als Unternehmen genauso gleichwertig behandeln, als wären es meine eigenen. Das fällt vor allem uns Deutschen recht schwer. Denn wir denken bei Innovation in erster Linie daran, wie wir unsere Patente schützen können. Doch wenn es nicht gelingt, die Haltung „Not invented here“ aufzulösen, wird Innovation immer erschwert werden.

Und gerade wenn wir an Innovationen rund um Nachhaltigkeit denken, ist zwingend Kooperation angesagt. Kreislaufwirtschaft kann man nicht allein machen. Da braucht man Partner, ein Ecosystem. Und man braucht eine Form der Zusammenarbeit, die für alle Beteiligten ein win-win ermöglicht.

Erfolgsfaktoren für Innovation

Begrabe ein totes Pferd möglichst schnell!

Eine Qualität erfolgreicher Innovatoren liegt auch darin, sich von „toten Pferden“ schnellstmöglich zu verabschieden und dennoch aus solchen Projekten zu lernen und die Erkenntnisse, die sich aus dem Projekt gewinnen lassen, in andere Projekte zu integrieren. Diese Erkenntnisse beziehen sich nicht nur auf die technische Lösung. Man kann auch Erkenntnisse in Bezug auf das Vorgehen, auf Testverfahren oder die Marktansprache gewinnen. Und aus allen Erkenntnissen lässt sich lernen. Das bringt uns zum nächsten Punkt, dem Lernen.

Erfolgsfaktoren für Innovation

Ohne Fehlertoleranz- und Lernkultur keine Innovationskultur

Bei Innovation geht es nicht darum, alles zu wissen. Es geht darum, kontinuierlich zu lernen. Und das bringt mich wieder zurück zu den Menschen, die ich für Innovation brauche. Es müssen Menschen sein, die bereit sind, Fehler zu machen, anzuschauen und zu verstehen, was das nächste Mal anders laufen muss, damit genau dieser Fehler nicht mehr passiert. 

Ohne Fehler und auch ohne Fehlertoleranzkultur wird keine Innovationskultur entstehen. Wenn ich jeden, der einen Fehler macht, steinige, wird niemand mehr bereit sein, Risiken einzugehen.

Die Lernkultur ein weiteres zentrales Element. Dieses findet sich beim agilen Arbeiten z.B. in der Retrospektive. Wichtig ist, dass bei dieser Retrospektive alle am Tisch sitzen, die zu dem Projekt oder Projektabschnitt etwas beigetragen haben und dass die Erkenntnisse nicht nur im stillen Kämmerlein gemacht werden. Lessons learned sind im Unternehmen zu präsentieren, um ein gemeinsames Lernen zu ermöglichen.

Eine Fehlertoleranzkultur zu leben und eine Lernkultur einzufordern, muss auch Chefsache sein.

Erfolgsfaktoren für Innovation

Agile Haltung und agile Instrumente unterstützen Innovation

S.W.: Sie haben die Retrospektive angesprochen. Daher die Frage von mir: Inwieweit ist agiles Arbeiten zwingend erforderlich, um innovativ zu sein?“

Das ist eine schwere Frage. Ich möchte sie so beantworten. Die Haltung, die hinter dem agilen Arbeiten steht und die Werkzeuge, die auf diese Haltung aufbauen, ermöglichen es, sehr schnell auf Veränderung im Markt und in Projekten zu reagieren.

Und wenn nichts in einem Innovationsprojekt sicher ist, eine Sache ist immer sicher: Egal wie ein Projekt gestartet wird oder welche Ideen am Anfang eines Projektes stehen, wenn ein Unternehmen auf den Markt hört, wird es unterwegs seine Idee verändern. Entweder wirft es sie komplett über Bord oder es passt sie an. Und beides gelingt mit einer agilen Haltung und den entsprechenden Werkzeugen besonders gut. 

Das belegt auch eine Studie der Strategieberatung Boston Consulting Group. Diese schaut sich jedes Jahr die TOP 50 Innovatoren der Welt an und analysiert, was diese Innovatoren ausmacht. Interessant dabei ist, dass von den 162 Unternehmen, die BCG seit 14 Jahren untersucht, nur 8 Unternehmen jedes Jahr unter den TOP 50 sind. Diese Unternehmen sind Alphabet, Amazon, Apple, HP, IBM, Microsoft, Samsung, und Toyota. Was ist deren Erfolgsfaktor? Zwei Dinge stechen heraus: Zum einen sind diese 8 Unternehmen klar der Innovation „commited“ – ihre Strategie, Kultur, ihre Prozesse und Ressourcen, sind auf Innovation ausgerichtet. Zum anderen sind sie in der Lage, sich extrem flexibel in einem sich verändernden Umfeld zu bewegen.

Agil bedeutet, flexibel zu reagieren, miteinander zu sprechen, Erkenntnisse aus diesen Gesprächen in die Entwicklung einfließen zu lassen, um möglichst schnell möglichst viel Kundennutzen zu generieren. Egal wie wir das nennen, wichtig ist, dass wir so handeln. Ein Innovationsprozess muss, anders als ein Entwicklungsprozess, super flexibel sein. Und den Raum dafür zu schaffen, darum geht es.

S.W.: Wann haben Sie gewusst, dass ihr Herz für Innovation schlägt?

(Lacht). Das ist eine sehr interessante Frage. In der neunten Klasse habe ich von einer richtig großen Erfindung geträumt; etwas zu erfinden, was die Welt verändert. Dann habe ich Physik studiert. Aber so richtig gefunkt hat es erst bei Mann + Hummel. Dort habe ich als interne Beraterin einen Auftrag aus der Innovationsabteilung bekommen. Ich sollte ihnen dabei helfen, mehr Ideen in die Geschäftsbereiche zu überführen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich angefangen, mich intensiv mit Innovation auseinanderzusetzen und mich gezielt fortzubilden. Dabei habe ich gemerkt, dass Netzwerken und der Austausch mit anderen auch sehr wichtig ist, um innovativ zu sein; ich also zwei Stärken von mir ausspielen konnte. Seitdem schlägt mein Herz für Innovation.

Fazit: Innovation

Es gibt keine Blaupause für Innovation.

S.W.: Wenn Sie unser Gespräch zusammenfassen würden, was würden Sie sagen?

Es gibt keine Blaupause für Innovation. Die Frage ist immer, wie positioniert sich ein Unternehmen. Wenn sich ein Unternehmen als Innovationsführer positioniert, bleibt ihm nichts anders übrig, als Innovationen auf den Markt zu bringen. Wenn sich ein Unternehmen als Kostenführer positioniert, muss es anders innovieren. Dann sind es nicht Produkt- oder Dienstleistungsinnovationen, sondern Prozess- oder Materialinnovationen. Vielleicht wird ein Unternehmen das nicht einmal als Innovation bezeichnen. Innovation muss nicht immer „breakthrough“ bedeuten. In der Literatur wird zwischen vier Typen unterschieden. Es gibt Innovatoren, die Dinge neu machen. Es gibt die, die die Dinge richtig machen. Es gibt die Innovatoren, die die Dinge nachhaltig machen wollen und es gibt die, die die Dinge jetzt tun wollen. 

Idealerweise kann ein Unternehmen alles. Das gelingt jedoch den wenigsten. Daher ist die zentrale Frage: Welcher Innovator bin ich bzw. möchte ich sein? Wenn das klar ist, weiß ein Unternehmen, worauf es sich fokussieren muss und kann seine Kultur, seine Prozesse und Ressourcen darauf ausrichten.

Innovation ist Chefsache. Innovationskraft zu entfalten ist ein Prozess. Er lebt von der Innovationskultur, in die er eingebettet ist und von den Leuten, die diesen Prozess gestalten.

Zur Person

Dr. Patricie Merkert studierte Physik, promovierte in Materialwissenschaft und erwarb parallel zum Beruf einen MBA. Sie arbeitete in diversen Industrien als Entwicklungs- und Innovationsleiterin und verantwortet seit November 2019 den Bereich Innovation & Technologies der E.G.O. Elektro-Gerätebau GmbH in Oberderdingen.

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