Schach König steht und alle Figuren liegen - Die überforderte Organisation - managementberatung | coaching
Foto | Prostock-studio on Shutterstock
9 Min.

Führung

Die überforderte Organisation – Symptome, Ursachen und Handlungsempfehlungen

Von Sabine Walter, Head of netzwerk managementberatung | coaching

Die derzeitigen gesellschaftlichen, (geo)-politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bringen viele Unternehmen nicht nur an ihre Grenzen, sondern zunehmend darüber hinaus. Pandemie, Krieg, wegfallende Märkte, Lieferengpässe, gestiegene Energiekosten, Digitalisierung, Fachkräftemangel…

Die Art und Weise, wie das Top Management darauf reagiert, führt in vielen Fällen dazu, dass Organisationen schon seit langem überfordert sind. Fehltage, innere und ausgesprochene Kündigungen nehmen zu. Der Gallup Engagement Index für 2022 macht diese Entwicklung mehr als deutlich: Nur 13% der deutschen Arbeitnehmer verspüren eine emotionale Bindung zu ihrem Unternehmen und sind mit Kopf, Herz und Hand dabei. Die restlichen 87% haben keine oder eine geringe emotionale Bindung und daher zumindest innerlich gekündigt.

Der daraus resultierende volkswirtschaftliche Schaden lag 2022 allein in Deutschland bei ca. 150 Mrd. Euro!

Wir möchten mit unserer Arbeit einen Beitrag dazu leisten, das zu ändern! Deshalb geht es in diesem Artikel um drei zentralen Fragen:

  • Woran erkennen Sie, dass Ihre Organisation überfordert ist?
  • Was könnten Ursachen dafür sein?
  • Welche Wege aus der Misere gibt es und welche ersten konkreten Schritte können Sie gehen?

Symptome einer überforderten Organisation

Woran erkennen Sie eine überforderte Organisation?

Die Anzeichen einer überforderten Organisation sind zahlreich. Nachstehend einige Symptome:

  • steigende Krankheitsquote und Fluktuationsrate
  • Die Mehrzahl der Mitarbeitenden verbringt mehr als 4 Stunden am Tag in Meetings
  • Qualität nimmt ab, Fehlerquote steigt bzw. ist konstant hoch, Reklamationen nehmen zu
  • Ziele werden nicht oder nur mit großer Verzögerung erreicht
  • Der direkte Austausch, auch team- und bereichsübergreifend, nimmt ab
  • E-Mail-Kommunikation hat einen signifikant hohen Anteil
  • Die Kultur des „finger pointing“ nimmt zu
  • Veränderungen werden nicht mitgetragen oder sogar aktiv unterwandert
  • Neue Ideen oder Verbesserungsvorschläge nehmen ab oder sind verschwindend gering
  • Es besteht eine Lücke zwischen formaler strategischer Ausrichtung und operativem Doing

Ursachen der überforderung

Was könnten Gründe für diese Überforderung sein?

Folgende Ursachen stellen wir immer wieder im Rahmen unserer Arbeit fest:

  • Unternehmen halten trotz VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity), fehlender Fach- und Führungskräfte und der Anforderungen an ressourcenschonendes Handeln an ihrer Wachstumsstrategie fest.
  • Ziele sind nicht oder nur durch unangemessen hohen Mehreinsatz zu erreichen.
  • Regelmäßige Weiterbildung fällt der hohen Arbeitsbelastung zum Opfer, das Qualifikationsniveau vor allem in Bezug auf neue Kompetenzen und Anforderungen sinkt.
  • Aus Angst, den gestiegenen Anforderungen nicht gerecht werden zu können, nimmt die (ehrliche) Kommunikation ab. Informationen und Meinungen werden verschwiegen, Fehler vertuscht, Ideen zurückgehalten.
  • Viele Führungskräfte sind mit dem Führen in der Krise überfordert und engen daher eher ein oder sitzen Entscheidungen eher aus, als Raum für kreatives, experimentelles und agiles Arbeiten zu geben. Diese fehlende Vertrauen in die eigene Kompetenz zieht ein sinkendes Team- und Organisationsvertrauen nach sich.
  • Die innere Distanz zum Unternehmen nimmt zu, da Mitarbeitenden nicht sehen, dass das Top-Management die veränderten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und klimatischen Rahmenbedingungen wirklich anerkennt und die Unternehmensstrategie darauf ausrichtet. Das Vertrauen in das etablierte Management schwindet. Die Folge sind innere Kündigungen.
  • Vorherrschendes Verständnis, dass digitale und kulturelle Transformationen neben dem anspruchsvollen Tagesgeschäft erledigt werden können.
  • Fehlendes visionäres Denken im Top-Management: Worauf müssen wir uns als Unternehmen jetzt konzentrieren, um einen wirkungsvollen Beitrag zum Klimawandel zu leisten und die sich verschärfenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (z.B. Ressourcenknappheit) zu antizipieren? Wachstum wie bisher kann darauf keine Antwort sein.
  • Falsche Budgetallokation unterstützt eher den Erhalt von Status quo als das radikale Verändern von Geschäftsmodellen.
  • Auf steigende Fluktuation und Krankenstände wird nicht durch eine Anpassung von Zielen und Ressourcen reagiert. Die unveränderte Arbeitslast wird auf das verbleibende Personal verteilt. Das wiederum führt zu mehr Krankenstand, innerer Kündigung und Fluktuation.

Diese Punkte verdeutlichen, dass sich das Top-Management dringend von der Selbstverständlichkeit kontinuierlichen Wachstums in einer Welt limitierter Ressourcen verabschieden muss.

Lösungen – DIE SPIRALE DER ÜBERFORDERUNG DURCHBRECHEN

Welche Wege aus der Misere gibt es und welche ersten konkreten Schritte können Sie gehen?

Die Gründe einer Überforderung geben bereits einen Hinweis auf Ansatzpunkte, die Negativspirale zu durchbrechen. Folgende Handlungsempfehlungen geben wir:

1. Anerkennen, dass Wachstum nicht selbstverständlich ist

Auch wenn viele Management-Vergütungssysteme auf Wachstum ausgerichtet sind, muss bei Vorständen, Aufsichtsräten, Gesellschaftern / Anteilseignern ein Umdenken einsetzen. Wachstum ist nicht „Gott gegeben“, Wachstum kann eine Resultante sein, wenn ein Unternehmen es versteht, konkrete Probleme seiner Kunden oder der Gesellschaft intelligent zu lösen.

Das anzuerkennen und auch im Unternehmen laut auszusprechen, ist der erste Schritt, etwas zu verändern.

2. Anerkennen, dass Transformation und Change Management auf allen Ebenen der Organisation Zeit und Ressourcen braucht und das in der Ziel- und Strategiedefinition berücksichtigen

Alle Unternehmen, die sich in größeren Veränderungs- und Transformationsprozessen befinden, sollten unserer Erfahrung nach 30 – 40 % ihrer Kapazitäten, also auch im Top-Management, dafür einplanen, um die Veränderung strukturiert und in einem angemessenen Zeitraum zum Erfolg zu führen.

3. Ziele und Strategie auf im Unternehmen vorhandene Ressourcen ausrichten

Was können wir mit den vorhandenen Kapazitäten unserer Mitarbeiter realistischerweise bis wann schaffen? Diese Abstimmung muss ein ehrlicher Dialog werden. Und dabei reicht es nicht nur, die vorhandenen FTEs zu betrachten, sondern es muss die Menge der Kompetenzen betrachtet werden. Für die Anzahl der FTEs macht es keinen Unterschied, wenn ein erfahrener Kollege das Unternehmen verlässt und ein Uniabsolvent ihm nachfolgt. Für die im Unternehmen vorhandene Expertise und die Produktivität kann es einen erheblichen Unterschied machen.

Das bedeutet auch, dass der Bereich des Personalcontrollings oder aber des Know-how- bzw. Kompetenzcontrollings deutlich zunehmen bzw. neu gedacht werden muss.

4. Zeit in die Vertrauensbildung investieren

Die ersten drei Handlungsfelder zahlen aktiv auf die Bildung einer Vertrauenskultur im Unternehmen ein, da die Mitarbeitenden und Führungskräfte erleben, dass sie und die Veränderungen des unternehmerischen Umfeldes ernst genommen werden. Dennoch macht es Sinn, aktiv Zeit in die Vertrauensbildung im Managementkreis, zwischen Hierarchiestufen und in den Teams zu investieren.

Konkrete Maßnahmen, die Vertrauensbildung fördern

Nachstehend finden Sie eine Liste verschiedener Maßnahmen, kleiner und großer, die die Vertrauensbildung in Unternehmen fördern. Top-Management und Führungskräfte können durch das Vorleben eine große Wirkung erzielen:

  • Sich ehrlich für Mitarbeitende und Kollegen interessieren
  • Aufmerksam zuhören
  • Regelmäßig ehrliche Feedbackdialoge führen
  • Sich einem 360°-Vorgesetzten-Feedback stellen und die Ergebnisse teilen
  • Offen und ehrlich kommunizieren
  • Ideen anderer hören und ernst nehmen
  • Ein „nein“ akzeptieren
  • Vertraulichkeit wahren
  • Erfolge anerkennen
  • Eigene Fehler zugeben
  • Im Management-Team vertrauensvoll zusammenarbeiten
  • Diversität wertschätzen und Kooperation fördern
  • Partizipativ führen
  • Irritationen und Konflikte aktiv ansprechen
  • Konstruktiv mit Fehlern umgehen
  • etc.

Unternehmen, die die ersten vier Handlungsfelder angehen, leiten die Gesundung der Organisation ein. Selbstverständlich gibt es noch weitere Möglichkeiten, die Anfälligkeit für eine Überforderung der Unternehmung zu reduzieren. Dazu zählen unter anderem:

  • Angemessene Umsetzungszeiten für Maßnahmen vereinbaren,
  • Mitarbeitende und Führungskräfte gemäß ihrer Stärken einsetzen,
  • Eine attraktive Fachkarriere bieten, um zu vermeiden, dass Fachexperten die Führungslaufbahn einschlagen müssen, auch wenn sie dafür nicht geeignet sind,
  • Für eine kontinuierliche Weiterbildung Zeit einplanen,
  • Mitarbeitende und Führungskräfte aktiv an Veränderungen beteiligen.

5. Talente aktiv fördern

Um Talente zu identifizieren, zu fördern und im Unternehmen zu halten, braucht es eine entsprechende Management Attention, ein Konzept und Budget. Vor allem aber braucht es Führungskräfte, die Zeit für Führung haben und darin geschult sind, Talente zu erkennen. Es braucht Führungskräfte, die den Mut haben, Menschen ihrem Potenzial entsprechend zu entwickeln, auch wenn diese Stärken unter Umständen dann nicht mehr im eigenen Bereich sondern in anderen Aufgabengebieten des Unternehmens Wirkung entfalten.

Neben den genannten Maßnahmen möchte ich noch einen Aspekt ansprechen, der entscheidend dazu beiträgt, inwieweit der hohe Einsatz, den Mitarbeitende und Führungskräfte dauerhaft bringen, dazu führt, dass sie für die Sache und das Unternehmen brennen oder verbrennen. Das ist der Aspekt des Purpose.

6. Purpose des Unternehmens um die gesellschaftliche Komponente erweitern

Für Unternehmen ist es aus meiner Sicht ein absolutes Muss, ihre unternehmerische Verantwortung zwingend um den gesellschaftlichen Beitrag zu erweitern und diesen zentral in ihr Denken und Handeln aufzunehmen. Die Leitfragen dafür sind:

  • Welchen gesellschaftlichen Beitrag wollen wir als Unternehmen leisten?
  • Welche gesellschaftlichen Probleme wollen wir durch unser Handeln verringern oder lösen?
  • Wie müssen wir uns als Unternehmen heute aufstellen, um auch der nächsten Generation eine gesunde Organisation zu überlassen?

Ein zentraler gesellschaftlicher Beitrag liegt quasi auf der Hand: Mitarbeitern und Führungskräften ein Arbeitgeber sein, der durch seine Kultur ein gesundes Arbeitsumfeld schafft und Chancen zur Entfaltung bietet.

Allerdings könnten Unternehmen bei der Frage des gesellschaftlichen Beitrages sogar noch einen Schritt weitergehen und Geschäftsmodelle, die der Gesellschaft schaden bzw. keinen Nutzen stiften, einstellen.

Beispiel: Welches echte Problem wird durch 10 verschiedene Haarwaschmittel oder 15 verschiedene Körpercrèmes gelöst, die ein Unternehmen im Programm hat? Keines. Die Frage für solch ein Unternehmen muss doch sein: Wie lassen sich das Know-how und die Technologien, die wir als Unternehmen haben, so einsetzen, um gesellschaftlichen Nutzen zu stiften und Probleme unserer Welt zu lösen?

Fazit

VUCA ist Chance und Notwendigkeit zugleich, Geschäftsmodelle und Organisationsstrukturen neu zu denken, um Unternehmen gesunden zu lassen

Weder für Menschen noch für Organisationen ist eine dauerhafte Überforderung gesund. Bei beiden führt dieser Zustand zum Kollaps. Der Gallup-Engagement-Index für 2022 verdeutlicht, dass die Mehrzahl unserer Unternehmen nicht gesund ist und Mitarbeiter und Führungskräfte dauerhaft überfordert sind.

Unternehmen, die fortbestehen wollen, müssen diesen Zustand verändern. Dafür schlagen wir fünf zentrale Handlungsfelder vor:

  • Anerkennen, dass Wachstum nicht selbstverständlich ist,
  • Anerkennen, dass Transformation und Change Management auf allen Ebenen der Organisation Zeit und Ressourcen braucht und das in der Ziel- und Strategiedefinition berücksichtigen,
  • Ziele und Strategie auf im Unternehmen vorhandene Ressourcen ausrichten,
  • Zeit in die Vertrauensbildung investieren,
  • Talente aktiv fördern,
  • Purpose des Unternehmens um die gesellschaftliche Komponente erweitern und Geschäftsmodelle verändern.

Sollten Sie eine überforderte Organisation führen und Interesse daran haben, das zu ändern, lassen Sie sich gern von uns beraten.

Haben Sie beim Lesen des Beitrags Impulse erhalten?

Coaching buchen Whiteboard

Whiteboard Auswahl

Zum Whiteboard
Jetzt anrufen